Die MHG-Studie bringt es an den Tag: Unermessliches Leid, das Geistliche der katholischen Kirche jungen Schutzbefohlenen zugefügt haben. Zahlen, Daten und ein Kommentar von Professor Markus Knuf.

Nach Bekanntwerden von sexuellen Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche hatte die Deutsche Bischofskonferenz ein interdisziplinär besetztes Konsortium mit der Analyse zur Häufigkeit sexuellen Missbrauchs durch katholische Kleriker in Deutschland beauftragt (MHG-Studie). Hierbei handelt es sich um eine retrospektive Kohortenstudie zum Ausmaß und zu den gesundheitlichen Folgen der betroffenen Minderjährigen. Es wurden sowohl qualitative als auch quantitative Forschungsmethoden angewandt und die Thematik in 7 Teilprojekten abgearbeitet. Um die Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs festzustellen, wurden 38.156 Personalakten von Klerikern aus dem Zeitraum von 1946 bis 2014 untersucht und epidemiologische Ergebnisse dieser Auswertungen dargestellt. Zu den wesentlichen Ergebnissen gehörten, dass 1.670 Kleriker, die des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen verdächtigt wurden, anhand von Personalakten identifiziert werden konnten. Die Quote beschuldigter Kleriker betrug 4,4 %. 3.677 von sexuellem Missbrauch Betroffene konnten ermittelt werden. Bei den Betroffenen waren 62,8 % männlich und in 66,7 % waren diese unter 14 Jahre alt. Im Durchschnitt erstreckte sich das Missbrauchsgeschehen über 1,3 Jahre. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle (über 80 %) wurden Handlungen mit Körperkontakt durchgeführt. Die gesundheitlichen und sozialen Folgen waren für viele Betroffene erheblich, wobei Ängste, Depressionen, Misstrauen, sexuelle Probleme und Kontaktschwierigkeiten am häufigsten genannt wurden.

Die Autoren der MHG-Studie schlussfolgern aus den Ergebnissen, dass es sich möglicherweise um eine untere Schätzgröße des tatsächlich geschehen Missbrauchs handelt. Sie führen an, dass asymmetrische Machtverhältnisse in einem geschlossenen System, wie es bei der katholischen Kirche vorherrscht, den sexuellen Missbrauch begünstigen können. Ärzte spielen sowohl bei der Diagnostik, als auch bei der therapeutischen Begleitung von Betroffenen eine große Rolle.

Kommentar:
Scheußliche Ergebnisse! Unermessliches Leid ist „Schutzbefohlenen“ zugefügt worden. Der Tatbestand wiegt umso schwerer, als das eine vermeindlich moralisch „edle Instanz“ wie die katholische Kirche durch Verbrechen von „Würdenträgern“, aber auch durch konsequente Vertuschung und Verharmlosung sowie zögerliche Aufklärung völlig versagt hat. Es bleibt zu hoffen, dass Untersuchungen wie die MHG-Studie Haltung und Handeln in der katholischen Kirche vollständig ändern. Für nicht wenige Menschen stellt sie weiterhin Halt und Erfüllung dar.

Literatur
Dreßing H et al. (2019) Sexueller Missbrauch durch katholische Kleriker. Dtsch Arztebl Int 116: 389 – 396


Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2020; 91 (4) Seite 235