Studie zur Gesamtbelastung und mentalen Gesundheit in Frühförderstellen und Sozialpädiatrie während der COVID-Pandemie.
Hintergrund
Die COVID-19-Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebenssituation und den Gesundheitszustand vieler Menschen. Besonders zu Beginn der Corona-Pandemie wurde vermehrt über steigende körperliche und psychische Belastungen bei medizinischem Personal berichtet, das an der unmittelbaren Versorgung der Corona-Patientinnen und -patienten tätig und demzufolge besonderen Beanspruchungen ausgesetzt war [1, 2]. Wie ging es den in der Sozialpädiatrie Tätigen in der Pandemie?
Wie bei vielen Institutionen in den ersten Pandemiewochen musste auch die Versorgung der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien in Sozialpädiatrie und Frühförderung durch die verhängten Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus angepasst oder ganz eingestellt werden. Als Resultat kam es zu zahlreichen Umstrukturierungen unter anderem auch auf personeller Ebene (Homeoffice, rotierende Schichtarbeit und/oder Versetzung auf eine andere Station im Krankenhaus usw.). Wir hatten die Möglichkeit, uns mit eigenen Modulen für die Frühförderung und Sozialpädiatrie an der multizentrischen VOICE-Studie zu beteiligen [3]. Die Beschäftigten der sozialpädiatrischen Versorgungseinrichtungen und Frühförderstellen (SPZ und IFF aus Deutschland und aks-Vorarlberg aus Österreich) wurden im Sommer 2020 zur Teilnahme an einer standardisierten Online-Befragung eingeladen, deren übergeordnetes Ziel es war, die subjektiv empfundenen Veränderungen der Gesamtbelastung sowie den mentalen Gesundheitszustand der Beschäftigten zu erfassen. Die Einladung erfolgte über Mailing-Listen, und viele von Ihnen als Leserinnen und Leser der Kipra haben teilgenommen.
Zentrale Ergebnisse der Untersuchung
Mit fast 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist die Befragung auf breite Resonanz gestoßen, was für die große Bedeutung des Themas spricht. Von allen Befragten fühlte sich nahezu die Hälfte in der ersten Phase der COVID-19-Pandemie stark oder sehr stark belastet. Der Vergleich zur Vor-Pandemiezeit zeigt, dass die wahrgenommene Gesamtbelastung in den ersten Wochen der Pandemie deutlich gestiegen ist (Abb. 1). Diese Tendenz wurde in verschiedenem Ausmaß in allen befragten Berufsgruppen beobachtet.
Was könnte zu dieser Belastung führen, wo doch keine direkte Konfrontation mit akut kranken Patientinnen und Patienten vorliegt, wie wir sie von den Intensivstationen kennen? Eine Erklärungsmöglichkeit kann das Konstrukt des moral distress bieten: "Ich weiß, was ich eigentlich tun müsste, werde aber beispielsweise durch äußere Umstände daran gehindert, dies auch umzusetzen." In der Phase der Befragung fanden kaum Patientinnen- und Patientenkontakte statt, was zu entsprechenden Sorgen der Behandler um "ihre Patienten" geführt haben könnte. Dies spiegelt sich in den Werten des moral distress thermometers wieder, wobei natürlich auch andere Belastungsfaktoren des Alltags wie der Wegfall von sog. angenehmen Aktivitäten bzw. Aspekten, die Stress und Belastungserleben reduzieren oder eine erhöhte Verunsicherung durch die aktuelle Situation bei den Gesamtergebnissen eine Rolle spielen dürften.
Einfluss auf die mentale Gesundheit
Weitere wichtige Ergebnisse hat die Untersuchung in Bezug auf die mentale Gesundheit ergeben: Bei 14,6 % der Befragten wurden Anzeichen einer klinisch relevanten depressiven Symptomatik und bei 17 % Symptome wie bei einer generalisierten Angststörung festgestellt, selbstverständlich ohne dass hieraus sofort auf das Vorliegen der entsprechenden psychischen Störung geschlossen werden kann. Ein besonders hoher Anteil der Teilnehmenden (fast 45 %) fühlte sich in dieser Phase der Corona-Pandemie emotional erschöpft. Wie auch bei vielen anderen Untersuchungen [4, 5] war in unserer Stichprobe die Sorge der Befragten vor Ansteckung anderer, vor allem der Familienangehörigen deutlich größer als die Sorge um sich selbst (41,9 %/20,6 %). Positiv ist hervorzuheben, dass die Beschäftigten trotz der entstandenen Herausforderungen über ein hohes Maß an persönlichen und sozialen Ressourcen verfügten, um diese besondere Lebenslage psychisch gesund überstehen zu können. So wurden Ressourcen wie optimistische Einstellung, wahrgenommene emotionale und soziale Unterstützung, ein höheres Kohärenzgefühl, eine höhere Lebensqualität und ausreichende Entspannung in der Freizeit als effektivste Schutzfaktoren gegen Depression, Angststörung und emotionale Erschöpfung benannt. Die Befragten berichteten, dass sie sich in schwierigen Situationen in hohem Maße auf die Kolleginnen und Kollegen verlassen konnten. Dieser Faktor ist als erhebliche Ressource anzusehen.
Fazit
Viele unserer Resultate waren durchaus mit den Ergebnissen der Beschäftigten auf den Akutstationen zu vergleichen. Aus unserer Sicht sollte an die Politik die Forderung nach allgemeinen Unterstützungsangeboten im Sinne einer Resilienzstärkung adressiert werden.
- Die COVID-19-Pandemie hat die psychische Gesundheit der in der Sozialpädiatrie Tätigen erheblich beeinflusst.
- Allgemeine Unterstützungsangebote im Sinne der Resilienzstärkung sind zu fordern.
Autorinnen und Autoren
Yuliya Mazheika [1], Peter Borusiak [1, 2]
[1] Wagener-Stiftung für Sozialpädiatrie
[2] Kinderneurologisches Zentrum KiNZ, LVR-Klinik Bonn
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (5) Seite 378-380