Dr. med. Anne Geweniger, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Freiburg, so heißt die Gewinnerin des von der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) ausgeschriebenen Stefan-Engel-Preises 2024.
Der renommierte Preis wird von der MedTriX-Group, bei der auch die "Kinderärztliche Praxis" erscheint, finanziell gefördert. Die an der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen in der Arbeitsgruppe Versorgungsforschung tätige Wissenschaftlerin erhielt den Preis für ihre COVID-19-Kindernetzwerk-Studie. Die bisher vorliegenden wichtigsten Erkenntnisse daraus hat sie für die KiPra-Leserinnen und -Leser im folgenden Beitrag zusammengefasst.
Die COVID-19-Kindernetzwerk-Studie an der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Freiburg untersuchte in Zusammenarbeit mit dem Kindernetzwerk e. V. die Komplexität der Auswirkungen der Pandemie auf die medizinische, psychologische und soziale Situation von Kindern mit und ohne chronische Erkrankungen.
Datenerhebung
Die Datenerhebung der repetitiven Querschnittsstudie fand online von August bis Oktober 2020, Dezember 2020 bis März 2021 und Dezember 2022 bis März 2023 statt. Die Entwicklung der Fragestellung, Methodik, Rekrutierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Ergebnisinterpretation und Dissemination erfolgte in einem partizipativen Ansatz gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertreter von Kindernetzwerk e. V., dem Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen.
Für die Auswertung wurden validierte Instrumente sowie neu entwickelte Items eingesetzt, um pandemiespezifische Belastungsfaktoren zu erfassen. Zu den drei Erhebungszeiträumen konnten jeweils 1619, 521 und 381 Familien mit und ohne chronisch kranke Kinder in die Datenanalyse eingeschlossen werden. Der Anteil chronisch kranker Kinder lag zwischen 41,4 % in der ersten und 76,6 % in der dritten Erhebung.

Die Preisverleihung fand auf dem Kongress für Kinder- und Jugendmedizin im Rahmen des Symposium „Stefan-Engel-Preis“ statt.
Ergebnisse
In allen drei Erhebungen war das Niveau psychischer Belastungen der Kinder und Jugendlichen im Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) hoch und lag zwischen bei 57,4 und 66,7 % unter allen Teilnehmenden. Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen waren allerdings signifikant häufiger von psychischen Belastungen betroffen als Kinder ohne chronische Erkrankungen.
Ein hohes Belastungsniveau zeigte sich auch bei den teilnehmenden Erziehungsberechtigten. Während in der ersten Erhebung 30,9 % der Erziehungsberechtigten ein auffälliges Depressions-Screening im WHO-5 zeigten, waren es in der zweiten und dritten Erhebung bereits 72,5 bzw. 63,3 %. Es bestanden signifikante Zusammenhänge zwischen der psychischen Belastung der Kinder- und Jugendlichen, deren Krankheitskomplexität, dem psychischen Wohlbefinden der Erziehungsberechtigten, dem sozioökonomischen Status (SES) und den pandemieassoziierten Belastungen wie unzureichender sozialer Unterstützung, vermehrte Familienkonflikte und finanzielle Probleme. Die wahrgenommene soziale Unterstützung war zudem niedriger in Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status (SES), mit Kindern mit höherer Krankheitskomplexität und höherer psychischer Belastung der Erziehungsberechtigten.

Konsequenzen
Dank des partizipativen Ansatzes der Studie konnten die Ergebnisse über das Kindernetzwerk einem breiten Publikum zugänglich gemacht und in politische Konsultationsprozesse eingebracht werden. Während bereits vor der COVID-19-Pandemie die besondere Belastungssituation von Familien mit chronisch kranken Kindern beschrieben wurde, zeigen unsere Studienergebnisse, dass diese sich in Krisenzeiten noch einmal verschärft hat. Familien mit komplex chronisch kranken Kindern, niedrigem SES und psychischen Belastungen waren besonders betroffen.
Soziale Unterstützung, die als Ressource für Gesundheit und Wohlbefinden insbesondere für Familien mit chronisch kranken Kindern fungieren kann, wurde in dieser besonders vulnerablen Gruppe weniger wahrgenommen. Community-Health-Ansätze auf lokaler Ebene und die partizipative Entwicklung von Unterstützungsmaßnahmen für betroffene Familien könnten in Zukunft die wahrgenommene Verfügbarkeit sozialer Unterstützung steigern und sich so positiv auf das psychische Wohlbefinden der Eltern und Kinder und auf die Versorgungssituation von chronisch kranken Kindern auswirken.
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Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2025; 96 (1) Seite 64-65