Mit der Verabschiedung des Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) im Jahr 2010 sollte die Behandlung gerade auch von betroffenen Kindern verbessert werden. Das ist auch geschehen, dennoch bestehen weiter Versorgungsdefizite.

Dies hat das Fraunhofer-Institut für Innovationsforschung in einem 2022 beauftragten Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium herausgefunden und jetzt veröffentlicht. Befragt wurden hierfür Mitte 2022 mit Hilfe von drei Online-Umfragen 229 Betroffene, 58 Hausärzte und 123 Pädiater.

Dabei sind seit 2010 durchaus Fortschritte erzielt worden. ­Seltene Erkrankungen sind erstmals in diversen Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt worden. So wurde es möglich, Zentren zu etablieren und zu zertifizieren, die über spezielle ­Zuschläge finanziert wurden. Mit Hilfe von Registern konnten die ­Datengrundlagen verbessert werden. Fortschritte gab es zudem bei der Diagnostik und bei der Therapie – insbesondere durch die jährlich steigende Zulassung immer neuer Orphan Drugs. Kein Wunder, dass 21 % der Ärzte die medizinische Versorgung von Patienten deutlich besser, weitere 42 % für etwas besser einstufen.

Doch die andere Seite der Medaille, die aus der Umfrage resultiert, sieht weniger rosig aus. Bei den Patienten sehen nur 2 % deutliche Verbesserungen und 27 % geringfügige Fortschritte. 47 % meinen hingegen, dass sich die medizinische Versorgung deutlich verschlechtert hat. Zudem glauben nur 15 % der Betroffenen, dass sich ihre Lebenssituation insgesamt (Ärzte immerhin 32 %) verbessert hat.

Die größte Herausforderung sehen die Studienautoren jedoch darin, rasch einheitliche Voraussetzungen für die Zentrenfinanzierung zu schaffen und kostendeckende Vergütungen für ambulante Beratungsleistungen und Datenerhebungen einzuführen. Auch die Unionsfraktion im Bundestag fordert, die Zentren-­Finanzierung auszuweiten und seltene Erkrankungen in das Curriculum des Medizinstudiums aufzunehmen.

Kommentar: Primärversorger nicht im Stich lassen!
Es ist erfreulich, dass bei der hochspezialisierten Versorgung von Kindern mit seltenen Erkrankungen in qualifizierten Zentren im letzten Jahrzehnt durchaus Fortschritte erzielt worden sind. Doch der Zugang zu den – immer noch zu wenigen und auf wackliger Basis finanzierten – ­Zentren ist für Patienten schwierig und nur wenig koordiniert. Bleibt für viele nur der (diagnostische) Weg über die Primärversorger. Ein Weg, der aber oft auch nicht zum Ziel führt. Denn es fehlen bundesweit sogenannte C-Zentren, die als Spezialambulanzen in Kliniken oder an Schwerpunktpraxen angegliedert sind und durchaus auch Expertise bei einigen seltenen Erkrankungen haben. Doch auch hier hapert es an kostendeckenden Vergütungen von solchen primärversorgenden Pädiatern, die bei seltenen Krankheiten die Hauptarbeitslast tragen. Solange dies nicht erkannt und verändert wird, werden flächendeckende Fortschritte ausbleiben.


Autor
© Hartmut Kreutz
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2024; 95 (5) Seite 324