Dr. Silvia Augustin, Leitung des Sachgebiets "Gesundheitsvorsorge für Menschen in Unterkünften", und Frau Dr. Constanze Söllner-Schaar, Leitung der Abteilung "Gesundheitsförderung von Anfang an" des Gesundheitsreferates der Landeshauptstadt München, haben beim Kongress für Kinder- und Jugendmedizin 2024 in Mannheim den Preis für Transkulturelle Pädiatrie 2024 der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. (DGSPJ) verliehen bekommen.

Ziel des Preises ist die Förderung der dringend notwendigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Transkulturelle Pädiatrie, z. B. durch die Implementierung strukturell-organisatorischer Veränderungen in Gesundheitseinrichtungen. Der Preis ist mit 1.000 Euro dotiert und würdigt die außergewöhnliche Qualität eines Projektes und das Engagement des gesamten Teams. Im Folgenden stellen die beiden Preisträgerinnen ihr Projekt vor.

In der Landeshauptstadt München (LHM) sind ca. 18.000 Menschen in etwa 140 Unterkünften für Geflüchtete und Wohnungslose untergebracht, davon je nach aktueller Lage 30 – 40 % Kinder. Geflüchtete Menschen sind aufgrund ihrer Fluchterfahrung und ihrer unklaren Lebenssituation im Ankunftsland besonderen gesundheitlichen Herausforderungen ausgesetzt. Besonders die Betreuung von Schwangeren, Neugeborenen und Kindern mit chronischen Erkrankungen ist aufgrund von Sozialisationsprozessen in anderen Gesundheitssystemen, Sprachbarrieren und bürokratischen Hürden oft erschwert. Sie benötigen zielgerichtete Versorgungsangebote und spezifische Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung.

Um vulnerable Gruppen in den Unterkünften besser erreichen und ins Gesundheitssystem vermitteln zu können, wurde 2015 vom Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt München das Sachgebiet "Gesundheitsvorsorge von Menschen in Unterkünften" mit einem Team aus 3 Berufsgruppen aufgebaut, die allen Altersgruppen gerecht werden: Familienhebammen, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger sowie Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger.

Alle 3 Berufsgruppen führen ganzheitliche Beratungen und Anleitungen zu gesundheitlichen Themen durch, halten Sprechstunden und Gruppenschulungen in den Unterkünften ab, bieten Besuche in den Zimmern der Klienten an, organisieren Case Management und begleiten bei Bedarf die Klienten ins Gesundheitssystem. Sie können für ihre Beratung dabei immer auf Dolmetscherdienste zurückgreifen. Sie sind im Kinderschutz fortgebildet und identifizieren bei Bedarf gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung.

Die Vermittlungen an das Sachgebiet erfolgen u. a. durch Geburtenmeldungen über das Kreisverwaltungsreferat, die Sozialdienste der Unterkünfte, das KiJuFa-Unterstützungsangebot (Integrationsarbeit mit geflüchteten Kindern, Jugendlichen und Familien in Unterkünften), die Bezirkssozialarbeit (BSA), Geburtskliniken, Hebammen sowie Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte.

Diese niederschwellige Ergänzung des Gesundheitssystems, insbesondere die Verzahnung zwischen Akteuren des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, der medizinischen Versorgung, der Jugend- und Sozialhilfe und zivilgesellschaftlichen Organisationen, z. B. Wohlfahrtsverbänden, sowie regionalen trauma- und kultursensiblen Therapieangeboten, sollte weiter gestärkt werden. Eine Erweiterung des Münchner Modells der Frühen Hilfen um Babylotsen ist in Planung, um die Familien früher und niederschwelliger zu erreichen. Außerdem ist ein ergänzendes Impfangebot – etwa das Schließen der Impflücken von Meningokokken, HPV und ggf. RSV – in den Unterkünften angedacht. Wichtig ist es, die Datenlage zu verbessern, um die Angebote den Bedarfen der Geflüchteten und der Wohnungslosen anzupassen.


Autor:
Dr. Silvia Augustin
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Sachgebietsleitung Gesundheitsvorsorge für Menschen in Unterkünften
Landeshauptstadt München, Gesundheitsreferat (GSR)
Weitere Autoren:
Dr. Constanze Söllner-Schaar


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2025; 96 (1) Seite 62-63