KI-Praxissoftware, die Diagnosen erfindet, um Symptome unter einen Hut zu bringen? "Künstliche Intelligenz kann keine menschliche bzw. ärztliche Expertise ersetzen", betont Kinderarzt Markus Landzettel - und zeigt Potenziale auf.

Was kommt da mit der neuen KI-Entwicklung in der Medizin auf uns zu? Es wird schon gerätselt, ob seltene Erkrankungen – durch das richtige Zusammenfügen unklarer Symptome – dann tatsächlich seltener übersehen werden. Wahrscheinlich bleibt anfangs alles so unpräzise wie die KI-Software eben mit Fakten zuvor gefüttert wurde [1].

Eine Nachricht aus dem Juristenkreis lässt aufhorchen. Da hat die KI in Form von ChatGPT einfach mal so Gerichtsurteile samt Aktenzeichen erfunden. So bewertet der US-Bundesrichter dies auch treffend: "Eine KI wie ChatGPT erzeugt aus ihrem Ausgangsmaterial neu und echt scheinendes Material, das nach algorithmischer und statistischer Wahrscheinlichkeit zusammengesetzt und verwoben wird. Eine sachlich korrekte Auskunft, womöglich fachlich fundiert, kommt so aber eher nicht zustande, und das eigene Urteilsvermögen kann sie nicht ersetzen." [2].

Es wäre natürlich fatal, wenn die KI-Praxissoftware Diagnosen erfände, um Symptome unter einen Hut zu bekommen. Aber das Ding ist ja lernfähig und wird sich verbessern. Es wird lernen, die unterschiedlichen Symptome besser zu gewichten und die Schilderungen der Patienten zunehmend besser zu deuten.

Kritikern mag man entgegnen, dass Intuition vielleicht doch nicht so sicher ist, wie wir immer denken [3]. Dennoch werden eminenzbasierte Ansichten vertreten und alternative Placebo-Medizin von Ärzten angewandt. Zum Glück halten Patienten oft viel aus und überleben Behandlungen jenseits der gesicherten Behandlungspfade, und dies führt dann zu dem Versuch einer nachträglichen Aufwertung: "Wer heilt, hat Recht". Ehrlicher wäre diese Aussage: "Überlebt wegen oder trotz Behandlung?"

Wahrscheinlich werden wir uns in den Praxen aber in der nächsten Zeit eher damit herumschlagen, dass Patienten sich besser vorbereitet fühlen, wenn sie vor dem Besuch in der Praxis ChatGPT zu ihren Symptomen befragt haben. Zurzeit erfolgt dankenswerterweise immer noch der standardisierte Hinweis, dies alles ärztlich abklären zu lassen. Die Zuordnung bei Symptomen, die bei verschiedenen Erkrankungen zutreffen oder der allzu gerne verwendete Zusatz, das Kind sei apathisch, führt bei der KI zu gravierenden Diagnosen des eigentlich eher munter herumhüpfenden Kindes.

Völlig unterentwickelt sind bei der KI-Medizin noch die Seiten Empathie, Persönlichkeit und Körperlichkeit. Beim Kirchentag 2023 in Fürth wurde versuchsweise ein Gottesdienst durch die KI abgehalten [4]: Alexa startete den Gottesdienst mit künstlichen Avataren, die religiöse Texte und Aussagen aneinanderreihten sowie ohne Empathie die Gebete und den Schlusssegen sprachen.

Übertragen auf die ärztliche Tätigkeit in der Praxis kann nur betont werden, wie wichtig es ist, dass wir Kinder- und Jugendärzte körperlich präsent, empathisch und verständnisvoll sind. Wir kennen auch meist die Geschichte und das Umfeld der Patienten. Die Entscheidungsgewalt bleibt in ärztlicher Hand. KI kann keine persönliche Interaktion und menschliche Expertise ersetzen.

Nutzen wir also das Potenzial der Spiegelneurone, das wird den Behandlungserfolg und die Zufriedenheit der Patienten erhöhen.

Dr. med. Markus Landzettel, Darmstadt


Literatur

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (5) Seite 300