Sensomotorik, Therapie, Psychodynamik, Indikationen. Michael Meyer (Hrsg.), 1. Auflage, 2019. 437 Seiten, Winter-Verlag, Heidelberg. ISBN: 978-3-8253-8351-0; 58,00 Euro

In dem vorliegenden Buch werden die Grundlagen der Neuroorthopädie am Krankheitsbild der Zerebralparese (ICP) ausführlich dargestellt. Führende Köpfe mit jahrelanger Erfahrung in der Behandlung von Patienten mit ICP haben hier mitgearbeitet und ihre Erfahrungen eingebracht.

Die Auswirkungen des frühkindlichen Hirnschadens auf das heranwachsende Kind und den Jugendlichen werden beschrieben. Beginnend bei Wahrnehmungsstörungen, Einschränkungen der mentalen und motorischen Entwicklung, bis hin zu sekundären Schäden und Störungen am Bewegungsapparat werden die Auswirkungen der ICP auf allen Ebenen von den verschiedenen Autoren aus allen Blickwinkeln erklärt.

Die Autoren stellen sich damit einen sehr hohen Anspruch, der sehr schwierig zu erfüllen ist. Neben den gängigen Klassifikationen, wie der GMFCS, werden auch viele weitere Klassifikationen, z. B. Ferrari-Konzept, ausführlich dargestellt.

Von den Grundlagen aufbauend wird die ICP beginnend aus neuropädiatrischer Sicht, bis hin zur Psychodynamik des Familiensystems und der Wahrnehmung der Bewegung umfassend dargestellt. Über die Wahrnehmung der Bewegung wird dann auf die Bewegungseinschränkungen aufgrund des frühkindlichen Hirnschadens und weiter die sekundären Auswirkungen sowie den klinischen typischen Erscheinungsbildern, Hemiparese, Diparese und Tetraparese eingegangen. Dies wird ausführlich nach den unterschiedlichsten Konzepten, aus physiotherapeutischer und ergotherapeutischer Sicht, nach Prinzipien von Vojta sowie von Bobath und auch nach neueren Ideen, z. B. Programm "Gehen verstehen" nach Kirsten Götz-Neumann, beschrieben. Auch Botulinumtoxin und sensomotorische Einlagenversorgung nach Nancy Hilton und Jahrling sind im Buch Thema. Die Detailfülle der Darstellung macht es dem Leser teilweise schwer, das Gesamtbild und die Auswirkungen der ICP zu erfassen.

Die Hilfsmittelversorgung wird ausschließlich vom herausgebenden Autor M. Meyer selbst dargestellt. Hier ist anzumerken, dass unterschiedlichste Hilfsmittelkonzepte und Materialen von unterschiedlichen Versorgern ebenfalls im Alltag mit Erfolg Anwendung finden. Versorgungspfade von unterschiedlichen Versorgern hätten hier sicherlich einen höheren Informationswert. Ebenso erfolgt die Darstellung der operativen Maßnahmen ausschließlich von einem Operateur. Für den Erfahrenen sicher eine Hilfe, z. B. weitere Ideen zu finden, für den Berufsanfänger oder Kinderorthopäden, die sich neu mit der Thematik ICP befassen, wäre es wahrscheinlich einfacher, einen Zugang zur Thematik zu finden, wenn die gemeinsamen Prinzipien der unterschiedlichen Behandlungen nach dem Prinzip "Teach principles not techniques" herausgearbeitet worden wären.

Die einzelnen Diagnosen, z. B. der Spitzfuß, werden aus mehreren Perspektiven dargestellt: rigide Sichtweise, Auswirkungen sensomotorischer Einlagen, Hilton-Orthesen, Programm "Gehen verstehen". Damit findet sich in diesem Buch eine solche Informations- und Faktenfülle, dass auch die Hilfsmittelmatrix im Anhang nicht helfen kann, wirkliche Klarheit zu verschaffen und als zielgerichteter Leitfaden der Hilfsmittelversorgung zu dienen.

Mit Vorwissen und für erfahrene Therapeuten aus allen Fachdisziplinen ist es trotz der Fülle von Fakten eine Quelle mit guten Hinweisen und Ideen aus unterschiedlichsten Perspektiven, um die Behandlung der eigenen Patienten zu verbessern.

Auf jeden Fall eine lohnende Lektüre, da in einem Buch viele Kolleginnen und Kollegen mit hoher Expertise und langer Berufserfahrung ihre Erfahrungen, Therapieprinzipien und ihr Vorgehen im Alltag bei der Behandlung der Patienten mit Zerebralparese und die einzelnen Therapiemaßnahmen mit hohem Engagement darstellen.



Autor
Prof. Dr. med. Frank Braatz, Göttingen

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (2) Seite 136