Serie über den Zentralen Qualitätsarbeitskreis (ZQAK), Teil 4: Aktivitäten, Ideen und Ziele der AG Hilfsmittelversorgung im Überblick.

In der Ausgabe 5/2020 hat die Kinderärztliche Praxis eine Serie gestartet, um die Arbeit des von Prof. Peter Borusiak aus Bremen koordinierten Zentralen Qualitätsarbeitskreises (ZQAK) allen Lesern der Kipra transparenter zu machen. Dazu wird in kurzer und kompakter Darstellung die Arbeitsweise der jeweiligen Gruppen mit ihrer spezifischen inhaltlichen Ausrichtung dargestellt. Im ersten Teil der Serie wurde die AG "Interdisziplinarität" vorgestellt, im zweiten Teil die AG "Mehrdimensionale Bereichsdiagnostik in der Sozialpädiatrie (MBS)" und im dritten Teil die Arbeitsgemeinschaft "Migration" (AG Migration). Hier der vierte Teil der Serie über die AG "Hilfsmittelversorgung".

Das Thema Hilfsmittelversorgung ist in den Sozialpädiatrischen Zentren kein neuer, aber ein zunehmend wichtiger und wachsender Bereich. Durch das in der Entwicklungsneurologie und Hilfsmittelversorgung erfahrene und (zusammen mit den Patienten) die Teilhabe definierende multidisziplinäre Team sind die Sozialpädiatrischen Zentren eine der ambulanten Versorgungsstrukturen, in denen Kinder und Jugendliche optimal mit Hilfsmitteln versorgt werden können. In zahlreichen SPZ haben sich spezielle Hilfsmittelsprechstunden etabliert, in denen Fachärzte für Kinder und Jugendmedizin – häufig mit Schwerpunktausbildung im Bereich Neuropädiatrie – Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten zusammen mit externen Partnern wie Reha- und Orthopädietechnikern, Neuroorthopäden und Therapeuten aus Praxen mit dem Patienten und seinen Eltern die Bedarfe des Kindes gemeinsam ermitteln, diskutieren und einen Versorgungsplan entwerfen. Die Verordnung von Hilfsmitteln erfolgt durch den zuständigen Arzt über ein Hilfsmittelrezept.

Wie genau der Hilfsmittelprozess in den Sozialpädiatrischen Zentren erfolgen sollte, wurde bereits in einem Qualitätspapier im Jahr 2010 von einer multidisziplinären Arbeitsgruppe unter Leitung von Dr. Helmut Peters erarbeitet [1].

Deutlich steigende Nachfrage nach Hilfsmitteln

Die Anzahl der Hilfsmittel hat in den letzten Jahren deutlich – nicht zuletzt auch aufgrund der digitalen Revolution – zugenommen. Einen guten Überblick vermittelt das Hilfsmittelverzeichnis des GKV Spitzenverbandes, in welchem alle Produkte, für die die Kosten durch die Kassen übernommen werden können, aufgelistet sind [2].

An der Versorgung mit Hilfsmitteln sind im weitesten Sinne beteiligt:
  • Patient und seine Familie
  • Therapeuten und Ärzte aus SPZ, Rehakliniken, kinderorthopädischen Kliniken, Praxen sowie Therapeuten aus Schulen und Kindertagesstätten
  • Mitarbeiter aus Firmen für Orthopädie- und Rehatechnik
  • Mitarbeiter von Krankenkassen
  • Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen
  • Netzwerke wie rehaKIND, Netzwerk Cerebralparese, Kindernetzwerk
  • Rechtsanwälte
  • Richter am Sozialgericht

In den vergangenen Jahren hat die Unzufriedenheit der am Hilfsmittelprozess Beteiligten deutlich zugenommen. Insbesondere Eltern klagen zunehmend über Erschöpfung, da sie sich neben der Versorgung ihres behinderten Kindes an den Abenden mit Anträgen und Widersprüchen beschäftigen müssen, in denen neben den Themen Schwerbehindertenausweis, Pflegegrad, Einzelfallhelfer, Integrationsstatus, Antrag auf stationäre Rehabilitation, Frühförderung etc. v. a. Ablehnungen und Verzögerungen im Hilfsmittelprozess eine wichtige Rolle spielen.

Ich möchte diesbezüglich aus der großen, bundesweiten Kindernetzwerkumfrage von 2015 zu Lebens- und Versorgungssituation von Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern" zitieren [3]:

"Nicht das behinderte Kind ist oft der Auslöser für Sorgen, sondern oft das gesellschaftliche Umfeld und der Umgang mit den Behörden, die häufig Anträge erst mal ablehnen und dann ein zeitaufwändiges, oft jahrelanges Klageverfahren herausfordern."

Die inhaltliche Ablehnung von Anträgen sowie eine Wortwahl, z. B.: "Aufgrund der vorliegenden Unterlagen liegt bei ihrem Kind kein Rehabilitationspotenzial vor", sind für Eltern nicht nur zeitraubend, sondern auch emotional niederschmetternd.

An Aktionen und Appellen mangelt es nicht

Politisch gibt es zum Thema Hilfsmittelversorgung bereits seit Jahren immer wieder Aktionen, die das Ziel haben, auf Schwierigkeiten im Hilfsmittelversorgung aufmerksam zu machen: Essener und Berliner Appell der rehaKIND [4], Symposien beim Hauptstadtkongress [5] sowie aktuell die Petition einer Kinderärztin, die als Mutter eines schwerst mehrfachbehinderten Kindes eine Änderung des Versorgungsprozess bewirken möchte [6].

In Anbetracht des hohen zeitlichen Aufwands aller Beteiligten weist rehaKIND auf den niedrigen Anteil der Hilfsmittel für Kinder mit Behinderungen von 0,17 % am gesamten Budget der Gesundheitskosten hin [7].

Welche Probleme können im Prozess der Hilfsmittelversorgung benannt werden?

  • Die Zeit von der Ausstellung des Rezeptes bis zur Auslieferung des Hilfsmittels an den Patienten dauert häufig zu lange.
  • Es ist nicht von jedem Beteiligten zu jedem Zeitpunkt nachzuvollziehen, wo der Prozess gerade steht (haben die Eltern vergessen, das Rezept der Orthopädietechnikfirma auszuhändigen? Ist dort ggf. ein Mitarbeiter erkrankt? Wird der Prozess gerade von der Kasse oder einem MDK-Mitarbeiter bearbeitet?)
  • Die Ablehnungsquote erscheint zu hoch, wertvolle Zeit vergeht, insbesondere bei kleinen Kindern.
  • Spezielle Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern (Firmen für Orthopädie- und Rehatechnik) stellen sich häufig als nicht optimal für Kinder mit neurologischen und auch seltenen Erkrankungen heraus. So ist etwa nach einer zeitintensiven, multidisziplinären Versorgungsplanung im SPZ ein Hilfsmittelunternehmen, das ein Vertragspartner der Krankenkassen ist, nicht auf Kinderrehabilitation spezialisiert und liefert ein anderes Hilfsmittel aus, das wichtige Aspekte der Versorgung nicht berücksichtigt.
  • Die Begutachtung durch Ärzte beim MDK erfolgt nicht zwingend durch Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin oder Kinderorthopäden.
  • Widerspruchsfristen bei Ablehnungen von Hilfsmitteln werden von Eltern aus verschiedensten Gründen (z. B. der "deutschen Amtssprache" nicht mächtig) nicht beachtet.
  • Zeitlich überlastete Ärzte bewältigen es nicht, ausführliche Begründungen für den MDK zu formulieren

Irritierend erscheint zudem, dass Ablehnungspraktiken und Bewilligungen sich von Krankenkasse zu Krankenkasse und Bundesland zu Bundesland zum Teil erheblich unterscheiden.

Im November 2017 kam bei einem Treffen des ZQAK der BAG die Überlegung auf, eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema Hilfsmittel zu gründen. Auf eine Anfrage über die Mailingliste der Ärztlichen Leiterinnen und Leiter der SPZ meldeten sich über 20 Mitarbeitende aus den Sozialpädiatrischen Zentren, die Interesse an einer Mitarbeit in der AG Hilfsmittel bekundeten.

Bei einem ersten Treffen in Bochum (Forum Sozialpädiatrie) 3/2019 erfolgte ein Brainstorming zu den bisher gesammelten Erfahrungen der Teilnehmenden im Versorgungsprozess Hilfsmittel sowie zu möglichen inhaltlichen Zielen. Beim Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in München 9/2019 wurde die Überarbeitung und Aktualisierung des Qualitätspapiers zur Hilfsmittelversorgung begonnen, welche in Kürze beendet werden soll.

Weitere Ideen und Ziele der AG Hilfsmittelversorgung sind:

  • engere Vernetzung mit Focus CP, rehaKIND und Netzwerk CP
  • Teilnahme an der Arbeitsgruppe Hilfsmittel in der DVfR
  • Schulung für Mitarbeitende in den SPZ zum Thema Hilfsmittelversorgung beim jährlich stattfindenden Forum Sozialpädiatrie
  • Gestaltung eines Symposiums Hilfsmittelversorgung in der Sozialpädiatrie beim Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in Berlin
  • Digitalisierung des gesamten Hilfsmittelprozesses, ggf. über ein gemeinsames Projekt mit den Kassen

Leider hat die Pandemie viele unserer geplanten Aktivitäten ausgebremst. Kongresse und Treffen wurden abgesagt. Weitere Zusammenkünfte – zunächst in digitalem Format und dann hoffentlich wieder als Präsenztreffen – werden folgen, um den Prozess der Hilfsmittelversorgung in den SPZ weiter verbessern zu können.


Literatur
1. https://www.dgspj.de/wp-content/uploads/qualitaetssicherung-papiere-hilfsmittel-2010.pdf
2. https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/hilfsmittel/hilfsmittelverzeichnis/hilfsmittelverzeichnis.jsp
3. https://repository.publisso.de/resource/frl:6405839/data
4. https://www.rehakind.de/m.php?get=mysearch
5. https://www.hauptstadtkongress.de/index.php?id=91&id_referent=141287
6. https://www.openpetition.de/petition/online/stoppt-die-blockade-der-krankenkassen-bei-der-versorgung-schwerst-behinderter-kinder-erwachsene-3
7. https://www.rehakind.de/m.php?sid=5.


Korrespondenzadresse
Dr. Mona Dreesmann
Department für Neuro- und Sozialpädiatrie
Klinikum Westbrandenburg
Charlottenstraße 72
14467 Potsdam

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (2) Seite 127-128