Serie über den Zentralen Qualitätsarbeitskreis, Teil 3: Ein Überblick über die AG Migration, ihre Geschichte, aktuelle Aufgaben, Herausforderungen und Ziele.
Im November 2012 wurde die Arbeitsgruppe Migration als Teil des Zentralen Qualitätsarbeitskreises unter der Leitung von Harald Lüdicke gegründet. Zuvor bestand in der DGSPJ bereits seit 2005 der Fachausschuss "Transkulturelle Pädiatrie". Er befasste sich mit den damals noch als "Nischenthema" gesehenen Versorgungsbedarfen von Kindern und Jugendlichen im familiären Kontext bei Migration. Die Überlegungen mündeten in das Positionspapier "Transkulturelle Pädiatrie – aktuelle Perspektiven und Handlungsoptionen", 2009 herausgegeben von den Kommissionsmitgliedern Erika Sievers (Düsseldorf; Sprecherin), Fuat Aksu (Datteln), Harald Bode (Ulm) und Osman Ipsiroglu (Vancouver).
Die Weitsichtigkeit und Notwendigkeit dieser Publikation erwies sich nur wenige Jahre später in der "Flüchtlingskrise" 2015. Auch im Vorstand der DGSPJ spielt das Thema Migration und insbesondere die Situation Geflüchteter weiterhin eine große Rolle, hier erschien 2018 eine Pressemeldung gegen die Einrichtung von ANkER-Einrichtungen und 2020 eine Publikation gemeinsam mit dem DJI zur Frühkindlichen Gesundheit bei geflüchteten Kindern und ihren Familien.
Der Fachausschuss wurde seit 2015 ebenfalls von Harald Lüdicke geleitet. 2019 erfolgte die Staffelstabübergabe an Thorsten Langer, Freiburg für den Fachaussschuss und an Irene Pfeiffer (Berlin) für die AG Migration.
Während sich der Fachausschuss "Transkulturelle Pädiatrie" mit migrationsspezifischen grundsätzlichen Themen in der Pädiatrie beschäftigt, so war und ist Ziel der AG Migration die Verbesserung der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Familien mit Migrationshintergrund in Sozialpädiatrischen Zentren.
2013 wurde die Erfassung des Migrationsstatus angelehnt an KIGGS standardisiert.
2014 unterstützte die Arbeitsgruppe eine Umfrage des Kindernetzwerks zur "Versorgung von Kindern und Familien mit Migrationshintergrund in SPZs". Die Ergebnisse wurden im Workshop "Transkulturelle Pädiatrie in Sozialpädiatrischen Zentren" anlässlich der Jahrestagung der DGSPJ im November 2014 in Leipzig präsentiert.
Vielfältige Aktivitäten in Gang gebracht
Daraus entstand 2015 das Positionspapier "Kultursensible Versorgung von Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund in einem SPZ" mit der Empfehlung zur Interkulturellen Öffnung der SPZs, der Einführung eines Migrationsbeauftragten in SPZs und der Notwendigkeit interkultureller Themen als fester Bestandteil der internen Fort- und Weiterbildung im SPZ.
2016 und 2017 erfolgten aufgrund der aktuellen Situation Befragungen zum "Stand der Versorgungsqualität von Flüchtlingen im Sozialpädiatrischen Zentrum".
2018 wurde eine Erhebung zum Fortbildungsbedarf in Bezug auf interkulturelle Kompetenzen in SPZs durchgeführt. 86 % der teilnehmenden SPZs wünschen sich kulturelles Hintergrundwissen und kultursensible Fertigkeiten, die sich aus den Erfahrungen der täglichen Arbeit ableiten lassen.
Folgende Fortbildungsthemen wurden in absteigender Wichtigkeit benannt (Tab. 1).
Ulrike Märtens entwickelte und aktualisiert fortlaufend mehrsprachiges Informationsmaterial für Eltern und deutschsprachiges Informationsmaterial für Fachkräfte in SPZs zu SPZ-relevanten Themen und Krankheitsbildern. Nach Testung durch 10 Pilot-SPZs wird eine Evaluation bis Ende 2020 und eine Überführung in ein Regelangebot über die DGSPJ angestrebt (Ansprechpartnerin und Mail-Kontakt: kinder-kulturen@gmx.de ).
2019 wurde die Entwicklung der Inhouse-Schulung "Transkulturelle Kompetenz im SPZ fördern" geplant und dazu ein interdisziplinäres Trainernetzwerk (aktuell Irene Pfeiffer, Nadia Osman, Gisa Müller-Butzkamm, Ulrike Märtens, Martin Simonetti) etabliert.
Aktuelle Aufgaben der AG Migration
Im Januar 2020 wurde durch Thorsten Langer und Irene Pfeiffer eine Unterstützung des Projekts durch die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin beantragt. Im Rahmen der bewilligten Projektförderung wird in einem Zeitraum von 24 Monaten ein Modulbaukasten entwickelt, der individuell und flexibel auf die einzelnen Bedürfnisse der SPZs ausgerichtet und eingesetzt werden kann. Anschließend werden nach Absprache mit den teilnehmenden SPZ drei Schulungen und eine Evaluation durchgeführt, um die erprobte Fortbildungsveranstaltung allen SPZs anbieten zu können.
In allen Modulen werden pädagogische Prinzipien der Erwachsenenbildung angewendet. Ein hoher Wert wird auf den interprofessionellen Austausch und das Peer-Learning gelegt. Für einzelne Themen kommen Kurzpräsentationen zum Einsatz. Zudem werden Kleingruppenarbeiten, Rollenspiele und reflektive Übungen durchgeführt. Die Schulungen werden in der Regel als ganztägige Workshops (9 Unterrichtseinheiten zu 45 min und damit 7 Stunden) für bestehende SPZ-Teams angeboten.
Herausforderungen und künftige Planungen
Wir freuen uns in der Arbeitsgruppe über neue Mitglieder aus den SPZs, besonders über Teilnehmende mit Migrationshintergrund.
Warum?
Die zunehmende kulturelle und sprachliche Vielfalt der deutschen Gesellschaft sowie die Herausforderungen durch den Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien und der arabischen Republik, dem Irak, Afghanistan, der Türkei und zahlreichen anderen Ländern stellen uns vor neue Herausforderungen. Im Jahr 2019 lag der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bei 26 %. Bei den 0- bis 5-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 39,7 %, bei den 5- bis 10-Jährigen bei 38,7 % und bei den 10- bis 15-Jährigen bei 17,7 %. Eine Person hat nach der hier verwendeten Definition einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde (Quelle: Destatis 2020). In einer aktuellen Untersuchung gaben knapp 9,4 % der Befragten an, zu Hause eine nicht deutsche Sprache zu sprechen (Quelle: Thorsten Langer). Zunehmend häufiger wird bei den Untersuchungen ein Dolmetscher benötigt. Die Behandlung von chronischen Erkrankungen sowie die Betreuung von Patienten mit Behinderungen erfordern ein besonders hohes Maß an Absprachen und Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Daher ist ein kompetenter Umgang der Mitarbeitenden mit kultureller und sprachlicher Vielfalt so wichtig für eine qualitativ hochwertige Versorgung in Sozialpädiatrischen Zentren. Neben den kulturellen und sprachlichen Unterschieden können auch soziale Einflussfaktoren, z. B. Armut oder eine Fluchterfahrung, komplizierend und zusätzlich zu den Sprachbarrieren zu herausfordernden Situationen im Umgang mit den betreuten Familien führen. Dies betrifft das Verständnis z. B. von Krankheitserleben und Behinderung, von Erwartungen an Diagnostik und Therapie oder auch von der Rolle der behandelnden Ärzte, Psychologen, Therapeuten und anderen Bezugspersonen.
Zu diesen Themen waren auch ein Workshop "Kultursensibler Umgang, Gesprächsführung bei Familien mit Migrationshintergrund" (Jahrestagung 2020) und eine "Session transkulturelle Pädiatrie" gemeinsam mit Thorsten Langer anlässlich der Jahrestagung Kinderheilkunde 2020 geplant und werden nun – sofern es die Corona-Pandemie zulässt – 2021 nachgeholt.
Alle beschriebenen Projekte sollen in den SPZs lebendig werden und benötigen vor Ort Unterstützung, Geld, Zeit und Herz. Seien Sie mit dabei!
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (1) Seite 48-50