Das Weißbuch „Seltene Erkrankungen in Bayern“ gilt als eines der fundiertesten Werke, im dem die aktuelle Lage zur Versorgung und Forschung abgebildet wird. Eine wahre Fundgrube für Ärzte und insbesondere für Pädiater, da Kinder besonders betroffen sind.

Von den insgesamt 6.000 bis 8.000 seltenen Erkrankungen sind insgesamt 4,5 Millionen Menschen direkt betroffen, darunter ein großer Anteil an Kindern. Der Anteil der indirekt betroffenen Menschen liegt aber fast dreimal höher. Aufgrund der gravierenden Folgen auf den Alltag vieler Betroffener geht man davon aus, dass in Deutschland rund 12 Millionen Menschen mit diesen Erkrankungen in unterschiedlicher Weise und Ausprägung konfrontiert werden.

Obwohl inzwischen fast täglich eine neue seltene Erkrankung entdeckt und beschrieben wird, verläuft die Diagnosefindung häufig immer noch sehr schleppend: bei Kindern dauert die Diagnose im Durchschnitt vier Jahre, bei Erwachsenen sogar acht Jahre. Noch düsterer sieht es bei den Therapieoptionen aus. Derzeit sind nur 330 speziell als Orphan Drug zugelassene Arzneimittel im Handel, eine anderweitige kausale Therapie ist zumeist nicht möglich.

Doch es gibt auch Fortschritte: Seit 2013 sind bundesweit eine ganze Reihe spezialisierter Zentren für seltene Erkrankungen (derzeit insgesamt 37) etabliert und mit Sach- und Geldmitteln sowie Personal ausgestattet worden. Im Bereich der Diagnostik weckt das seit Juli angelaufene Projekt genom DE große Hoffnung, weil auf diese Weise wohl alle Betroffenen sukzessive in den nächsten Jahren eine Möglichkeit zur Ganzgenom-Sequenzierung erhalten werden. Schließlich hat die Ampelregierung immerhin 100 Millionen Euro zur Forschungsförderung zur Verfügung gestellt.

Dennoch werden im Weißbuch klare Forderungen benannt, die dringend der politischen Umsetzung bedürfen. Dazu zählen:

  • Beschleunigung von Genehmigungsverfahren bei der Zertifizierung von Zentren
  • Bessere finanzielle Ausstattung der sogenannten B-Zentren an Universitätskliniken, die bislang nicht ausreichend finanziert sind, jedoch für die breitere Versorgung der Patienten in Spezialambulanzen ungemein bedeutend sind
  • Der Aufbau eines Registers für seltene Erkrankungen in der Hochschulmedizin fürs Monitoring der Behandlungsstrategien und des Krankheitsverlaufs. Dafür notwendig ist laut Weißbuch eine nachhaltige und dauerhaft gesicherte Finanzierung von Versorgungs- und Forschungsstrukturen.

Die Schlussbotschaft, die der Initiator des Weißbuches, der CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer, verbreiten will, ist eindeutig: Seltene Krankheiten in der Koalitionsvereinbarung für die nächste Legislaturperiode zu verankern und dabei auch explizit europäisch organisierte Forschungsanstrengungen miteinzuschließen.


Raimund Schmid