Erythropoietin wurde in der Vergangenheit hypothetisch neuroprotektive Effekte bei Neugeborenen mit hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie (HIE) zugeschrieben. Welche Effekte hat Erythropoietin tatsächlich bei diesen Patienten und wie sind "adverse effects" zu bewerten?

Die neonatale hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) ist eine bedeutende Ursache für die Sterblichkeit von Neugeborenen bzw. Langzeitbeeinträchtigungen. Erythropoietin wurde in der Vergangenheit hypothetisch neuroprotektive Effekte bei Neugeborenen mit HIE zugeschrieben. Die Bedeutung für das entwicklungsneurologische „Outcome“ in Zusammenhang mit der therapeutischen Hypothermie ist jedoch unklar.

In einer doppelverblindeten, randomisierten, Multizenter- und Placebo-kontrollierten Studie wurden 501 Neugeborene mit einem Gestationsalter von 36 Schwangerschaftswochen (SSW) und mehr mit einer moderaten oder schweren HIE in die Studie eingeschlossen. In Kombination mit einer Standard-Hypothermie-Behandlung erhielten die Studienteilnehmer entweder 1.000 Einheiten pro KG Körpergewicht Erythropoietin oder Kochsalzlösung, welche intravenös innerhalb der ersten 26 Stunden nach der Geburt und dann an den Tagen 2, 3, 4 und 7 appliziert wurden. Die primären Studienendpunkte waren Tod oder schwere neurologische Entwicklungsbeeinträchtigungen im Alter von 22 bis 36 Monaten. Neurologische Beeinträchtigungen waren definiert als Zerebralparese, mit einem GMFCS-Level von mindestens 1 (0 – 5) oder ein Intelligenzquotient von weniger als 90. Es wurden ­Bayley-Scales zur Testung eingesetzt. Von den 500 in die modifizierte „Intention-to-Treat“-Analyse eingeschlossenen Neugeborenen erhielten 257 Erythropoietin und 243 Placebo. Die Inzidenz für Tod oder schweres neurologisches Entwicklungsdefizit lag bei 52,5 % in der Erythropoietin-Gruppe und bei 49,5 % in der Placebo-Gruppe (relatives Risiko 1,03; 95 %-KI, 0,86 – 1,24; p = 0,74). Die Anzahl der schwerwiegenden „adverse events“ je Kind war in der Erythropoietin-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe (0,86 im Vergleich zu 0,67; relatives Risiko 1,26; 95 %-KI, 1,01 –  1,57).

Die Autoren schließen aus ihrer Untersuchung, dass Erythropoietin keine neuroprotektiven Effekte bei Neugeborenen mit ­einer HIE unter Hypothermie-Behandlung aufweist. Sie betonen die Assoziation mit einer höheren Rate von schweren „adverse events“.

Kommentar:
Die Studie ist von großer Bedeutung, da doppelblind randomisiert und placebokontrolliert nachgewiesen werden konnte, dass Erythropoietin keine neuroprotektiven Effekte aufweist. Im Gegenteil: Die Rate von schwerwiegenden Ereignissen in der mit Erythropoietin behandelten Gruppe fiel höher aus. Eine Erythropoietin-Behandlung bei Neugeborenen mit HIE ist demnach ab­zulehnen.

Literatur
Wu YW et al. (2022) Trial of Erythropoietin for Hypoxic-Ischemic Encephalopathy in newborns. N Engl J Med 387: 148


Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (2) Seite 88