In Deutschland wurde im vergangenen Jahr das Neugeborenen-Screening um die Früherkennungsuntersuchung auf Spinale Muskelatrophie erweitert. In einigen Bundesstaaten der USA dagegen wird die Untersuchung bereits seit vier Jahren angeboten. Zahlt sich das Screening aus?

Eine Studie der Universität in Rochester belegt nun, dass die frühe genaue Diagnose und Therapie sich positiv auf den Krankheitsverlauf betroffener Kinder auswirken. Im Rahmen des Neugeborenen-Screenings werden Babys bereits in den ersten Lebenstagen auf seltene angeborene Erkrankungen untersucht. Dazu gehört im US-amerikanischen Bundesstaat New York schon seit Oktober 2018 das Screening auf Spinale Muskelatrophien.

Unter dem Begriff Spinale Muskelatrophien wird eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Krankheiten zusammengefasst, die durch einen fortschreitenden Untergang von Nervenzellen im Rückenmark und z. T. auch im Hirnstamm charakterisiert sind. Etwa 80 Prozent der Spinalen Muskelatrophien werden autosomal rezessiv vererbt und in Abhängigkeit vom Schweregrad in die Typen I-III eingeteilt.

Mehr als 90 Prozent der Fälle werden durch homozygote Deletionen/Mutationen des Gens SMN1 (Survival Motor Neuron) verursacht. Der Verlust des SMN1-Genproduktes führt zur Zerstörung von Nervenzellen im Rückenmark, die die Muskulatur des Körpers versorgen: es kommt zu fortschreitender Muskelschwäche und Atrophie besonders der rumpfnahen Arm- und Beinmuskulatur und später der gesamten Rumpfmuskulatur.

Ein zweites Gen, SMN2, kann das SMN-Eiweiß produzieren, allerdings in deutlich geringerer Menge. Beim Menschen kommt häufig eine unterschiedliche Anzahl von SMN2-Genkopien vor (1 - 6 Kopien), Patienten mit einer hohen Anzahl SMN2-Kopien haben in der Regel einen milderen Krankheitsverlauf. SMA-Typ I-Patienten (Typ Werdnig-Hoffmann, akute infantile SMA) besitzen meist nur eine oder zwei SMN2-Kopien. Kinder mit Defekt im SMN1-Gen bei gleichzeitig fehlendem SMN2-Gen sind nicht lebensfähig.

SMA-Typ-II-Patienten (intermediäre Form) besitzen 2 oder 3 SMN2-Kopien. SMA-Typ-III-Patienten (Typ Kugelberg-Welander, juvenile SMA) 3 oder 4 SMN2-Kopien. Das SMN2-Gen kann daher die spinale Muskelatrophie nicht verhindern, den Verlauf aber abhängig von der Zahl der vorhandenen SMN2-Kopien modifizieren.

Dr. Bo Hoon Lee vom Department Pediatric Neurology hat mit ihrem Team in einer Studie zur Wirksamkeit eines Neugeborenen Screening auf SMA und einer früh einsetzenden Therapie anhand retrospektiver und deskriptiver Daten vorgelegt. Für die korrekte Diagnose, Vorhersage des Schweregrades und des Typs der spinalen Muskelatrophie sowie der Therapie ist es wichtig, die Zahl der SMN2-Kopien mit unterschiedlichen Methoden zu bestätigen.

In den ersten drei Jahre des Screenings nahmen fast 650.000 Kinder am Screening teil, 34 Kindern wurden positiv getestet. Die Inzidenz lag mit etwa 1:19.000 niedriger als erwartet. Die überwiegende Mehrzahl der Kinder (94 Prozent) wurden behandelt, diese Kinder hatten zwei oder drei SMN2-Kopien. Die meisten dieser Kinder erhielten ein Gentherapie, sie bekamen Onasemnogen-Abeparvovec (Zolgensma), ein Wirkstoff, der das defekte SMN1-Gen ersetzen soll.

Die Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass frühe Identifizierung und Behandlung von Neugeborenen mit spinaler Muskelatrophie die Motorik verbessert. Alle Kinder mit drei SMN2-Kopien waren vor Beginn der Symptome therapiert worden und über die Dauer der Nachbeobachtung asymptomatisch geblieben. Hatten die Kinder jedoch nur zwei SMN2-Kopien, zeigten sich unterschiedliche und zum Teil weniger positive Ergebnisse.


Quelle:
Newborn Screening for Spinal Muscular Atrophy in New York State: Clinical Outcomes From the First 3 Years; Bo Hoon Lee, et al. https://n.neurology.org/content/early/2022/07/14/WNL.0000000000200986

Katharina Maidhof-Schmid