Durch lange gewachsene Vertrauensverhältnisse sind die Ärztin, der Arzt oder die MFA ausschlaggebend für eine informierte Impfentscheidung und daher nicht zu ersetzen. Dies gilt es zu nutzen!
Die mediale Omnipräsenz wissenschaftlichen Fortschritts und kontinuierlich wachsender Erkenntnisse über den Erreger der COVID-19-Erkrankung hat seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 erheblich dazu beigetragen, das Wissen der Bevölkerung über Infektionskrankheiten und insbesondere den Nutzen von Impfungen als Schlüssel zur Bekämpfung einer weltweiten Infektionserkrankung zu vertiefen.
Bereits vor der SARS-CoV2-Pandemie war dem überwiegenden Teil der Bevölkerung bewusst, welch eine überragende Bedeutung Impfungen als wichtigste primärpräventive Maßnahme für den Erhalt der Gesundheit von der Kindheit bis ins hohe Alter haben. Durch Einführung einer Impfung konnten die Pocken weltweit ausgerottet werden, in Deutschland wurde seit 2014 kein Fall einer Rötelnembryopathie mehr gemeldet und die globale Eradikation der Kinderlähmung ist bereits weit fortgeschritten [1 – 3].
Dennoch stagnieren die allgemeinen Impfquoten, insbesondere bei Jugendlichen und Erwachsenen, seit Jahren auf einem zu niedrigen Niveau [4, 5]. Dies zeigt, dass die Vermittlung von seriösen Hintergrundinformationen und wissenschaftlichen Fakten allein nicht ausreicht, um Menschen von der Notwendigkeit von Impfungen zu überzeugen [6]. Es bedarf daher weit größerer Anstrengungen und unterschiedlicher Ansätze, um Hinderungsgründe rund ums Impfen zu identifizieren und zu beseitigen. Dazu gehört zum Beispiel, wie Menschen erreicht und wie ihnen die Informationen hierzu vermittelt werden. Auch ein möglichst einfacher niedrigschwelliger Zugang zu Impfungen spielt eine wesentliche Rolle [7, 8].
Auch wenn in Krisenzeiten solch außergewöhnliche Lösungen erforderlich waren wie die Einrichtung von Impfzentren, Impfkampagnen in Turnhallen und Schulen, in Einkaufsmeilen und Apotheken, so zeigen longitudinale Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), dass nach wie vor die Haus- oder Kinderarztpraxis als Vertrauensinstanz an erster Stelle für Impfinformation und -durchführung steht. Lange gewachsene Vertrauensverhältnisse begründen, dass auch bei einer Vorabinformation über digitale Medien, Printmedien oder den Familien- oder Freundeskreis die Ärztin, der Arzt oder die MFA ausschlaggebend für eine informierte Entscheidung und daher nicht zu ersetzen sind. Arztpraxen rangieren dabei deutlich vor Krankenkassen auf Platz zwei sowie dem ÖGD auf dem dritten Rang, weit vor Bundesbehörden, Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern und – bemerkenswert – auch vor Apotheken. Dies gilt es zu nutzen!
Jegliches Handeln zur Steigerung der Impfraten, in der Arztpraxis, im ÖGD, im SPZ oder in der Klinik setzt jedoch eine solide Datenbasis voraus. Daher hat der Verband forschender Arzneihersteller (vfa) eine repräsentative Umfrage durchgeführt, um die Impfkompetenz und dabei insbesondere das Wissen um die fälligen Auffrischimpfungen von Tetanus, Diphtherie und Pertussis in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, Bildungsstand und Beschäftigungsverhältnis zu erfragen.
Die Ergebnisse sind für alle (sozial-)pädiatrisch und im Public-Health-Sektor Tätigen ein Appell, nicht nur die Impfungen der Kinder und Jugendlichen im Fokus zu haben, sondern auch der Begleitpersonen und des familiären Kontextes. Spätestens seit Einführung des "Gesetzes zum Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention" 2020 können Fachärztinnen und -ärzte unabhängig von den Grenzen der Ausübung ihrer fachärztlichen Tätigkeit Schutzimpfungen durchführen. Das bedeutet: Die Gynäkologin kann den Ehemann der Patientin impfen, die Urologin die Partnerin oder den Partner und die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte die begleitenden Eltern und Großeltern.
Deshalb sollte jeder Arztbesuch zur Kontrolle des (familiären) Impfstatus genutzt werden, selbst dann, wenn der Anlass eine Erkrankung mit Kontraindikation für eine aktuelle Impfung ist. Statuskontrolle, Beratung und Terminvereinbarung zur Impfung können dennoch erfolgen. So bleibt neben dem individuellen auch der Gemeinschaftsschutz (die Herdenimmunität) gewahrt – und idealerweise wird en passant das positive Vorbild der Eltern in Sachen Prävention gestärkt.
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Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2024; 95 (3) Seite 226-227