Wer bezüglich der Debatte um „Privilegien“ für Menschen, die zweifach gegen SARS-CoV-2 geimpft wurden, das Hauptaugenmerk nur auf Seniorinnen und Senioren richtet, verkenne die komplexe Lage und trage nicht gerade zum Verständnis zwischen den Generationen bei, findet Dr. Ulrike Horacek vom DGSPJ-Vorstand.

Die Debatte um „Privilegien“ für zweifach Geimpfte dominieren derzeitig juristische Aspekte. Auch wenn Gesichtspunkte der gesellschaftlichen Solidarität ins Feld geführt werden, erfolgt dies zumeist plakativ und vor allem verkürzt. So wird generell auf (Hoch-)Betagte als Nutznießer abgezielt – Seniorinnen und Senioren, die endlich wieder in ihre Orchesterloge oder nach Teneriffa möchten. Dies befördert sicherlich nicht das Verständnis zwischen den Generationen, vor allem aber wird es der erforderlichen Komplexität der Betrachtung nicht gerecht.

Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein genauer Blick auf die mutmaßlichen „Profiteure“, also auf die – auch jüngeren – Personengruppen, die bisher schon Impfangebote nutzen konnten:
  • Zu den ca. 8 % zweifach Geimpften zählen Menschen in Pflegeeinrichtungen, für die Erleichterungen bei den Besuchsregelungen überfällig sind.
  • Zwei Impfungen erhalten haben weit überwiegend die Profis in Medizin und Pflege, die tagtäglich nicht restlos vermeidbaren Risiken (anfangs fehlender adäquate Schutzausrüstung etc.) ausgesetzt waren, während sie unverzichtbare Aufgaben erfüllten; dies alles, um Kranke zu versorgen und Pflegebedürftige professionell zu betreuen.
  • Chronisch bzw. schwer Erkrankte, die bis zum Impfstart 10 Monate besondere Risiken trugen und entsprechende Ängste und Einschränkungen auf sich nehmen mussten, warten zu einem erklecklichen Teil noch auf die Vervollständigung ihres Impfschutzes.
  • Das Gleiche gilt für Menschen, die unverzichtbare („systemrelevante“) Dienstleistungen für die Gesellschaft erbringen (exemplarisch: in Supermärkten, im ÖPNV, in der Aufrechterhaltung der Basisversorgung, im Bereich öffentliche Sicherheit und Ordnung.
  • Einem großen Teil der Berufsgruppen Erzieher und Lehrer konnte ein Impfangebot unterbreitet werden. Diese waren bzw. sind – zumindest in Notbetreuung und Präsenzunterricht – bis zum Erreichen ihres individuellen Impfschutzes schwer kalkulierbaren und bedingt vermeidbaren Ansteckungsrisiken durch Kinder ausgesetzt. Vorteile für vollständig Geimpfte könnten einige noch Zaudernde dazu bewegen, doch ein Impfangebote anzunehmen und damit die Sicherheit für das Gesamtsystem zu erhöhen. Solange Kinder, insbesondere Kleinkinder, noch nicht geimpft werden können, würde dies zum Kokoneffekt beitragen.
  • Derzeit beginnen Impfaktivitäten für Menschen im nahen Umfeld von Schwangeren, für die noch keine Impfmöglichkeit besteht, sowie für häuslich Pflegende. Hier geht es um Menschen, die außerhalb von Institutionen oft sehr aufopferungsvoll Kranke, Pflegebedürftige und nicht mehr selbstständig Lebende in ihrer häuslichen Umgebung betreuen. Viele dieser Menschen würden von Lockerungen im Reiseverkehr nicht einmal profitieren können. Wäre es nicht angemessen, diesen Einsatz, der nicht nur eine individuelle, sondern auch gesellschaftliche Leistung beinhaltet, durch „kleine Privilegien“ zu honorieren?

Die Gruppe ist also sehr heterogen und setzt sich keinesfalls nur aus (Hoch-)Betagten zusammen. Die Abwägung um bevorzugtes Behandeln bedarf zwingend einer multiperspektivischen und differenzierten Betrachtung. Verkürzende Polemik ist nicht angesagt und kontraproduktiv.

Darüber hinaus: Gerade ältere Menschen wollen häufig ihre erlangte Schutzsituation nutzen und sich ehrenamtlich einbringen, auch aus dem Bedürfnis heraus, sich dankbar zeigen zu wollen. In den Kommunen organisieren sich derzeit vielerorts Betreuungs- und Lernpatenschaften in ehrenamtlicher Tätigkeit. Diese entlasten Familien und kommen den Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft ganz aktuell sehr zugute.

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Dr. Ulrike Horacek, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ)