Die Macht der Alten wird immer größer, die Jugend zunehmend überstimmt, findet Kinderarzt Stephan Nolte mit Blick auf das weiter steigende Durchschnittsalter in Deutschland. Gerade in der Corona-Zeit sieht er die Rechte der Kinder mit Füßen getreten.

Zu Beginn der Pandemie wurde ein Babyboom prognostiziert, wie früher bei einem Stromausfall, bei dem man die Zeit mangels anderer Unterhaltung bei Kerzenschein im Bett verbringt. Stattdessen sehen wir nun eine Abnahme der Geburtenzahlen, in Frankreich etwa von 13 %, ähnliche Zahlen kommen aus Italien, Spanien, Großbritannien, USA, Japan, sogar China. Für Deutschland liegen derzeit keine verlässlichen Zahlen vor, aber für meine Stadt, Marburg, zeichnet sich ab, dass statt der sonst konstant etwa 600 Neugeborenen in diesem Jahr weniger als 500 Kinder auf die Welt kommen werden, was die Planungen der Jugendhilfe schon jetzt durcheinanderwirbelt.

Das wird ein weiterer Hieb für den ohnehin schon angeschlagenen Generationenvertrag und die Überalterung unserer Gesellschaft sein, die man auch an der Altersstruktur der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte sehen kann. Es bedeutet aber auch, dass die Macht der Alten immer größer wird und die Jugend zunehmend majorisiert wird. Das Durchschnittsalter der Deutschen liegt bei Mitte 40 und ist seit 65 Jahren um 10, in 100 Jahren um 20 Jahre angestiegen. Zum Vergleich: In Indien und China ist das Durchschnittsalter knapp 30, in Afrika unter 20 Jahre.

In Deutschland stehen 16,4 Millionen unter 18-Jährige 82 Millionen theoretisch Wahlberechtigten gegenüber. Diese 16,4 Millionen, immerhin ein Fünftel der Bevölkerung, sind ganz ohne Stimmrecht. Um ihnen mehr Stimme zu verleihen, wurde 2007 das Aktionsbündnis Kinderrechte gegründet, bestehend aus dem Deutschen Kinderhilfswerk, dem Deutschen Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland und seit 2010 auch der Deutschen Liga für das Kind. Die Protagonisten hatten mit der Forderung nach einer Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz das Ziel einer modernen, zukunftsorientierten Verfassung vor Augen und meinten, ein Zeichen setzten zu müssen, um Kindern und Jugendlichen und deren Anliegen in Deutschland gerecht zu werden. Nun ist die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz trotz Festschreibung in der Koalitionsvereinbarung und trotz einem sehr niedrigen gemeinsamen Nenner in dieser Legislaturperiode gescheitert. Welch ein Armutszeugnis für diesen Staat! Für eine Änderung des Grundgesetzes wäre die Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich gewesen.

Aber braucht es eine solche Verfassungsänderung? Sind Kinder ein Spezialfall, sind sie nicht auch Menschen?

Eigentlich braucht es keine speziellen Kinderrechte, sondern "normale" Rechte auch für Kinder. Und die werden in der Corona-Zeit mit Füßen getreten, weil diese Gruppe sich nicht selbst artikulieren kann und auch von ihren Sorgeberechtigten nicht mehr Stimme bekommt als diejenige eben dieser Sorgeberechtigten.

Warum nicht ein Stimmrecht für alle Bürger, damit auch für die Kinder, welches von den Sorgeberechtigten wahrgenommen wird. Sie können als legitime Sachwalter ihrer Kinder gelten, wie es ihnen auch sonst zugestanden wird. Derzeit heißt es im § 14 des Bundeswahlgesetzes: "Eine Ausübung des Wahlrechts durch einen Vertreter anstelle des Wahlberechtigten ist unzulässig." Ein Wahlgesetz ändern ist aber noch lange keine Verfassungsänderung. Dennoch stemmt sich die Majorität der älteren politischen Eliten vehement dagegen.

Die Macht der Silberrücken wird aber noch dadurch verschärft, wenn argumentiert wird, dass Kinder und Jugendliche nicht um ihrer selbst willen geimpft werden sollen, sondern allenfalls, um die Älteren zu schützen. Da stellt sich doch wieder einmal mehr die Frage: Warum sollen jetzt erneut die Kinder mit Impfungen – ohne Kenntnis von Langzeiteffekten für junge Menschen – herhalten, damit sich die ältere Bevölkerung sicherer fühlen kann? Unsere Kinder haben doch nun wahrlich schon genug Lebensqualität durch Maßnahmen, die sie eigentlich gar nicht betreffen, eingebüßt, oder?


Dr. Stephan H. Nolte, Marburg/Lahn


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (5) Seite 132