"Wir sollten uns angewöhnen, eine Pro-Haltung als Grundhaltung anzunehmen: Für die Gesundheit, für das Kindeswohl", appelliert Kinderarzt Stephan Nolte - und nennt Beispiele für einen friedensfördernden, positiveren Sprachgebrauch. Das sollte schon bei Kindern anfangen.
Wir haben uns – nicht nur in der Medizin – eine Anti-Haltung angewöhnt: Wir verschreiben Antibiotika, Antihypertensiva, Antiallergika, fast die ganze Materia Medica besteht aus Anti-Mitteln. "Anti" drückt eine gegnerische Einstellung, eine ablehnende Haltung aus. "Pro" als Antonym dagegen eine Einstellung für etwas, zu jemandes Gunsten.
Wir sollten uns angewöhnen, eine Pro-Haltung als Grundhaltung anzunehmen: Für die Gesundheit, für das Kindeswohl. Der hohe Blutdruck ist kein Gegner, den wir ganz einfach im Kampf mit einem Antihypertensivum gewinnen können, sondern Folge eines pathogenetischen Teufelskreises, den zu durchbrechen es lohnt: gemeinsam, zusammen. Wir sollten in der Infektiologie in einem Erreger längst nicht mehr nur den bösen Keim sehen, der was Böses anrichtet, sondern das ökologische Gleichgewicht betrachten, die Lebensumstände, das Ganze. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, was passiert, wenn man wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf den Erreger schaut. Nicht umsonst sprachen alle vom "Kampf gegen Corona". Von solchen Kampf-Metaphern müssen wir uns verabschieden. Das fängt mit der Sprache an.
Im Vergleich zu den vielfältigen Diskussionen um einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch ist ein friedensbewusster Sprachgebrauch noch nicht im allgemeinen Diskurs angekommen. Es gab 2019 an deutschsprachigen Hochschulen 217 Professuren für "Frauen- und Geschlechterforschung/Gender Studies" [1]. Zum Vergleich: Es gab 2019 an 6 Universitäten Studiengänge und deutschlandweit 32 Professuren zur Friedens- und Konfliktforschung [2], die sich aber nicht eigentlich oder gar hauptsächlich mit friedensfördernder Sprache beschäftigen. Gewaltfreie, friedensgerechte Sprache ist eine Art der Sprache, die Gewalt- und Kampfmetaphern vermeiden und stattdessen den Gedanken des Miteinanders fördern soll. Es geht darum, eine Sprache zu verwenden, die auf alle Begriffe verzichtet, die eine Feindschaft beinhalten. Es gibt viele Möglichkeiten, friedensgerechte Sprache zu verwenden.
So sollte der Begriff "Wahlkampf" ebenso gestrichen werden wie "Wettkampf". Ein Werben politischer Parteien oder Kandidaten um Wählerstimmen vor einer Wahl sollte ein friedlicher und von Sachargumenten geprägter Akt sein. Der parlamentarische "Gegner" ist ein Mitbewerber, kein Feind. Ein sportlicher Wettkampf ist ein Wettspiel. Spielen ist für die kognitive und motorische Entwicklung und für die soziale Kompetenz von herausragender Bedeutung. Dabei sollte aber auf jede Form von Kampfmetaphern und Diskriminierung der Mitspieler verzichtet werden, denn auch Gegenspieler sind Mitspieler. Und damit muss schon im Kindesalter angefangen werden.
Krieg führt zu Krieg. So hat der Krieg gegen den Terror als Antwort auf die Anschläge des 11. September 2001 zu noch mehr Gewalt und Kriegen geführt. Weder in Afghanistan, noch in Syrien haben fortgesetzte Aufrüstungsprozesse Frieden gebracht, und dies wird auch in der Ukraine so sein. Bekanntlich sind Kinder und Frauen diesen Situationen am schutzlosesten ausgeliefert. Wir müssen in Politik und Gesellschaft nach Alternativen suchen. Und diese fangen schon bei Kindern im Kopf und mit der Sprache an: Beim Miteinander statt beim Gegeneinander [3].
Dr. med. Stephan H. Nolte, Marburg/Lahn
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (6) Seite 378