Mädchen mit einer fortgeschrittenen chronischen Nierenerkrankung sind anfälliger für die Entwicklung einer Gefäßversteifung als Jungen, wie eine europäische Studie zeigte. Warum diese Ergebnisse ein Meilenstein für Pädiater sind, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Das Geschlecht spielt eine Rolle: Chronische Nierenerkrankung wirken sich stärker auf die Gefäße von Mädchen aus als auf die von Jungen. Das konnten Forschende der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) in einer europäischen Studie zeigen. Die Ergebnisse wurden im Journal Kidney International veröffentlicht.

Zwar ist die Sterblichkeitsrate bei Kindern nach Nierentransplantation in den vergangenen Jahrzehnten gesunken, trotzdem ist sie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung aufgrund von frühen kardiovaskulären Komplikationen immer noch sehr hoch.

Mädchen sind anfälliger für Gefäßversteifungen

"Unsere neuen Ergebnisse können die höhere Sterblichkeit von Mädchen mit Nierenversagen erklären", sagt Dr. Rizky Sugianto, Erstautorin der Studie. "Wir zeigen, dass Mädchen mit einer fortgeschrittenen chronischen Nierenerkrankung im Vergleich zu Jungen anfälliger für die Entwicklung einer Gefäßversteifung sind; dieser Unterschied bleibt auch nach der Transplantation bestehen." Die Gefäßsteifigkeit ist ein medizinisches Merkmal, um das Voranschreiten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu diagnostizieren.

"Ein Meilenstein für uns Pädiater"

"Die Ergebnisse sind für uns Pädiater ein echter Meilenstein", sagt Professorin Dr. Dr. Anette Melk, Oberärztin an der MHH-Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber und Stoffwechselerkrankungen. "Mädchen leiden nicht nur stärker unter der eingeschränkten Nierenfunktion und der Wartezeit auf ein Organ, sie erhalten laut einer europäischen Studie auch seltener als Jungen eine präemptive Transplantation, also eine Transplantation vor dem völligen Versagen der Nierenfunktion und der Notwendigkeit der Dialyse, der Blutwäsche‚ die ja die fehlende Entgiftungsfunktion der Niere bis zur Transplantation ersetzen soll", betont die Professorin für interdisziplinäre experimentelle Transplantationsmedizin. "Dabei wäre ein schneller Zugang zur Transplantation gerade für Mädchen entscheidend, um genau diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden entgegenzuwirken."

Europäische Studie mit 700 Kindern und Jugendlichen

55 europäische Zentren aus 14 Ländern beteiligten sich an der Studie. 10 Jahre sammelte das Konsortium Daten von Kindern mit chronischer Nierenerkrankung im Alter von 6 bis 17 Jahren, und beobachtete sie im Verlauf ihrer Erkrankung bis zum Eintreten der Dialysepflichtigkeit und nach Nierentransplantation. Die Patientinnen und Patienten wurden jährlich umfassend zu ihrem kardiovaskulären Status sowie auf vorhandenen Risikofaktoren untersucht. Insgesamt wurden mehr als 700 Kinder und Jugendliche in die Studie eingeschlossen, ein Drittel von ihnen wurde während des Beobachtungszeitraumes transplantiert. So konnten fast 1.400 Datenpunkte mittels eines komplexen statistischen Modellierungsverfahrens analysiert werden, um den Faktor hinter den Geschlechtsunterschieden im Verlauf der arteriellen Steifigkeit zu entschlüsseln.

Studienergebnisse auch für Niedergelassene relevant

"Die Studienergebnisse sind auch für niedergelassene Pädiaterinnen und Pädiater relevant, weil sie weitere Evidenz liefern, dass zwischen Mädchen und Jungen Unterschiede im Hinblick auf die Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestehen", betont Annette Melk auf Nachfrage der Kinderärztlichen Praxis. Die aktuellen Beobachtungen wurden im Kontext einer chronischen Erkrankung, der chronischen Nierenerkrankung, gemacht. Es gebe aber auch andere Konstellationen, die auf eine erhöhte Empfänglichkeit hindeuten. "So zeigen Untersuchungen, dass die Zunahme der linksventrikulären Masse am Herzen bei Mädchen mit Übergewicht ausgeprägter ist als bei Jungen. Sehr wahrscheinlich sind diese Beobachtungen auf Unterschiede durch das biologische Geschlecht zurückzuführen."

Im täglichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen sei es daher von Bedeutung, sich bewusst zu machen, dass Mädchen und Jungen unabhängig von genderspezifischen Aspekten unterschiedlichen gesundheitliche Risiken ausgesetzt sind, betont die Expertin.


Red.


Quelle:
Medizinische Hochschule Hannover; Originalarbeit

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (2) Seite 96