Nezahat Baradari ist Kinder- und Jugendärztin und sitzt für die SPD als neu gewählte Bundestagsabgeordnete im Deutschen Bundestag. Was will sie für die pädiatrische bzw. sozialpädiatrische Versorgung tun?

Nezahat Baradari ist im August 1965 in Ankara (Türkei) geboren und lebt heute in Attendorn im Kreis Olpe. Seit 2008 ist sie dort auch als Kinder- und Jugendärztin niedergelassen. Sie ist verheiratet und hat 2 Kinder. Für die SPD sitzt sie als neu gewählte Bundestagsabgeordnete für den südlichen Märkischen Kreis (Kreis Olpe) im Deutschen Bundestag und ist dort auch seit dem Antritt der Ampel-Koalition Mitglied im Gesundheitsausschuss. Dort will sie vor allem die zum Teil äußerst defizitäre – pädiatrische und insbesondere sozialpädiatrische – Versorgung von Kindern und Jugendlichen hierzulande in den Fokus rücken.

Sie ist Pädiaterin und Bundestagsabgeordnete in einer Person und nimmt trotzdem oder gerade deswegen kein Blatt vor den Mund: Viele Kinder hätten zuletzt als Folge der langanhaltenden Corona-Pandemie so tiefe Einschnitte in ihrem Leben erfahren, wie kaum eine Generation zuvor in der jüngeren Zeit, räumt Nezahat Baradari ein: Homeschooling, große soziale Distanz, fehlende Peer-Groups. Zudem war die normale Sozialisation in den KiTas wie auch in der Schule durch Schließungen oder reduzierte Angebote nicht möglich. Der Stresslevel in den Familien war deutlich höher als üblich, gerade wenn beide Eltern arbeiten oder ihre finanzielle Situation alles andere als gut war. Gerade Sozialpädiater stünden hier vor großen Herausforderungen, um zumindest einige der Folgen daraus so gut wie möglich auffangen zu können.

Der Krieg in der Ukraine komme jetzt als neuer Schockzustand noch hinzu. Die Ängste und Traumatisierungen würden dadurch bei unseren Kindern hierzulande nicht weniger, stellt Baradari ernüchternd fest. Sie kann es gut beurteilen, weil sie die Erfahrung einer seit über 28 Jahren tätigen Ärztin mitbringt und in ihre Arbeit einfließen lassen kann.

Früh erkennen, wenn Dinge aus dem Lot geraten

Auch für ihre politische Arbeit. Dabei möchte sie jedoch als pädiatrische Bundestagsabgeordnete mit ihrer authentischen Stimme über Corona, Klimakrise und Kriegsfolgen hinaus Missstände aufgreifen: zum Beispiel die Themen "sexualisierte und häusliche Gewalt" oder solche Themen wie "Kinderarmut" und "Kindergrundsicherung". Ihr Ziel dabei ist es, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, so wie es explizit im Koalitionsvertrag steht. Aber auch ein Thema wie die Inflation und die finanziellen Auswirkungen auf die Familien dürften ihrer Ansicht nach nicht außer Acht gelassen werden. Baradari: "Kinder und Jugendliche sind hier mit ihrer ganz besonderen Sensibilität die ersten Seismografen, die genau spüren, wenn Dinge in einer Familie aus dem Lot geraten."

Das ist besonders bei den 10 – 20 % der Familien der Fall, die man als Kinder- und Jugendärzte nur schwer erreicht. Daher begrüßt sie auch das Modellprojekt in 3 Hamburger Stadtteilen, wo solche benachteiligten Familien leben. Pädiater, die in diesen Stadtteilen tätig sind, sollen nun mit besonderen Zeitziffern ausgestattet werden, um diesen Familien – gerade auch sozialpädiatrisch – besser gerecht werden zu können. Solche Ansätze würden in jedem Fall zum besseren Verständnis für diese Familien und deren sozioökonomische und psychosoziale Situation beitragen. Baradari: "Da sehe ich uns Pädiaterinnen und Pädiater als eine Art Sozialarbeiter, was wir auch sind – nicht nur für Kinder, auch für Eltern." Im Rückschluss müssen Erkenntnisse aus solchen Projekten aber auch an die Politik weitergetragen und daraus dann die richtigen gesundheitspolitischen Beschlüsse gezogen werden. Dazu möchte sie so gut es geht beitragen.

Doch die Hemmnisse sind groß. Die pädiatrischen Praxen laufen über und statt mehr Zeit, steht immer weniger Zeit pro Patient zur Verfügung. Auch hier zeigt die Abgeordnete klare Kante: Wir brauchen mehr Migration, fordert sie. Und zwar qualifizierte Migration von jungen Medizinern aus anderen Ländern, von denen "wir wirklich sagen können, das Medizinstudium ist gleichwertig und wir können die Abschlüsse anerkennen." Doch ehrlicherweise müsse man auch eingestehen, dass nicht alle Abschlüsse aus der ganzen Welt anerkannt werden können, weil die Diskrepanzen in der medizinischen Ausbildung teilweise sehr groß seien. Dies könne aber durch eine intensive Nachschulung auch wieder ausgeglichen werden.

Für die Pädiatrie ist viel zu wenig Geld im Topf

Ein wunder Punkt sei in diesem Kontext aber auch, dass viel zu wenig Geld im System für die Pädiatrie vorhanden sei. Daher überlege sich jeder etablierte Kinder- und Jugendmediziner zweimal, ob man einen Assistenzarzt einstellt oder nicht. Oder einen Weiterbildungsassistenten. In vielen KVen wird man hier auch schon finanziell unterstützt. Häufig reichten diese Mittel aber nicht, damit gerade junge Kolleginnen und Kollegen das Risiko eingehen, sich selbstständig zu machen. Das trifft auch für die eigenen Kinder der Pädiaterin zu, die trotz bestem Abitur nicht in ihre Fußstapfen treten wollen. Sie beklagen zu Recht, dass es an politischer und finanzieller Sicherheit in der Kinder- und Jugendmedizin mangele.

Dies liegt nach Ansicht von Nezahat Baradari vor allem daran, dass sich mit Kindern "politisch nach wie vor kein Blumentopf gewinnen lässt." Dies sei ein Grund für den Kinderärztenotstand und auch die gravierende Unterversorgung mit MFA. Baradari: "Die werden von den Kinderkliniken abgeworben, weil die mehr bezahlen. Die Forderung beispielsweise der IG Metall nach einer Verbundausbildung, an der sich alle finanziell beteiligen, sei daher genau richtig.

Eine stärkere Lobby für Kinder und damit auch für die Pädiater sei daher dringend geboten. Davon würden dann auch die MFA profitieren. Und auch der ebenfalls weit unter Wert gehandelte stationäre Bereich. Im Kinderkrankenhaus und auch in den Sozialpädiatrischen Zentren müssen ganz andere Fix- und Vorhalteentgelte bereitgestellt werden, fordert sie. Denn Notfallmedizin, Geburtshilfe und Pädiatrie benötigen besonders hohe Vorhaltepauschalen. Das muss aber noch in die Köpfe der Politik rein. Bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist diese Dringlichkeit bereits angekommen. Dem will sie nun als Bundestagsabgeordnete – auch im persönlichen Gespräch mit ihm – Nachdruck verleihen.

Man kann sich sicher sein: Nezahat Baradari wird für all dies kämpfen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie bei Karl Lauterbach und darüber hinaus auch gehört wird!


Korrespondenzadresse
Raimund Schmid

Dipl. Volkswirt/Journalist
E-Mail: medien@raimundschmid.de

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (5) Seite 393-394