Am 12. Mai 2023 verstarb der Sozialpädiater Professor Dr. med. Hans G. Schlack. Ein Nachruf von Dr. Helmut Hollmann und Dr. Christian Fricke.

Am 12. Mai ist Hans Georg Schlack entschlafen, friedlich während der Nacht. Im August wäre er 84 Jahre alt geworden. Wie seine Frau Ute, Kinder- und Jugendärztin wie er, und die drei Söhne Robert, Ulrich und Julian berichten, muss Hans Schlack wohl geahnt haben, dass seine Kräfte zu Ende gehen. Er habe noch mit allen telefoniert und am Vorabend mit seiner Frau gemütlich ein Glas Wein getrunken. Nach einem Schlaganfall vor einigen Jahren hatte er sehr zu kämpfen mit einer residualen Wortfindungsstörung bei sonst erhaltener Leistungsfähigkeit, was ihn sehr angestrengt und als brillanten Rhetoriker auch gequält hat.

Geboren am 11. August 1939 in Stuttgart – unmittelbar vor Beginn des 2. Weltkriegs nach drei älteren Schwestern – erlebte Hans Schlack eine belastete frühe Kindheit. Der Vater, ebenfalls Kinderarzt und 1951 Autor eines damals vielbeachteten Buches zur Kinderneurologie, kehrte erst Ende 1945 nach Verpflichtung als Feldarzt zurück. Er war es, der gemäß Familientradition den Sohn nach dem Abitur zum Medizinstudium drängte. Hans Schlack selbst tendierte über seine Präferenzen der Geschichte und alten Sprachen zu einem Studium der Philologie. Zeitlebens hat er sich das Interesse und die Liebe für eine breit angelegte Bildung bewahrt, die über Schauspiel, Kabarett, Musik und Oper, Literatur und Politik bis zu Architektur und Denkmalschutz reichte, ergänzt durch kulturorientierte Reisen. Schon während des Studiums in Tübingen lernte Hans Schlack im Pathologiekurs seine spätere Frau Ute Schmidt kennen; die Hochzeit fand 1965 statt.

Nach Staatsexamen und Promotion 1964 in Tübingen erfolgte die pädiatrische Weiterbildung in Münster und Tübingen mit Schwerpunkt Neuropädiatrie. 1971 übernahm Hans Schlack die Oberarzt-Position im Kinderneurologischen Zentrum Mainz bei Prof. Johannes Pechstein. An der Universität Mainz habilitierte er sich 1977 mit einer Metaanalyse zu den Auswirkungen mütterlicher Verhaltensweisen auf die funktionelle Entwicklung mit Identifikation solcher Muster, die sich konsistent und übereinstimmend bei den normal entwickelten ebenso wie bei den aus unterschiedlichen Gründen beeinträchtigten Kindern als günstig erwiesen. In der Folge wurde ihm die akademische Würde der apl-Professur für Kinderheilkunde verliehen.

Prof. Dr. Hans Schlack wurde 1978 zum Leiter des neu gegründeten Kinderneurologischen Zentrums Bonn berufen, konzipiert als Fachklinik mit dem SPZ als Ambulanz und angeschlossenen 20 Behandlungsplätzen, u. a. mit einer Eltern-Kind-Station. Die Sozialpädiatrische Kinderstation wurde als einer der ersten Orte in Deutschland überhaupt von Hans Schlack bereits Mitte der 80er-Jahre radikal umstrukturiert, fort von den Schwerpunkten Epilepsie und Zerebralparese hin zu einer interdisziplinär geführten Station zur Akutintervention bei jungen Kindern in prekären Lebenssituationen, insbesondere nach sexuellem Missbrauch. Die Themen der Kindeswohlgefährdung und der zur Abwendung geeigneten Interventionen spielten für ihn fortan eine zentrale Rolle.

Das junge multiprofessionelle Team entwickelte unter seiner Leitung Denkansätze und Handlungskonzeptionen, die sich teils fundamental von den weit verbreiteten Vorstellungen unterschieden. Standen dort medizinisch-funktionelle Behandlungsansätze in Verbindung mit einer orthodoxen Verhaltenstherapie im Vordergrund, so wurden in Bonn Maßnahmen zur Unterstützung der Eigenaktivität des Kindes zusammen mit einem elternzentrierten Vorgehen mit Empowerment und systemischem Grundgerüst als zentral angesehen. Liest man die damaligen Publikationen, so verwundert es nicht, dass Hans Schlack früh auch die Zusammenarbeit mit der Frühförderung suchte und beförderte. Wissenschaftliche Grundlage waren für ihn die eigenen Forschungsarbeiten im Verbund mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe "Entwicklungsneurologie", die mit Barbara Ohrt, München; Remo H. Largo, Zürich; Richard Michaelis, Tübingen und Gerhard Neuhäuser, Gießen, hochkarätig besetzt war. 1997 gestaltete diese Gruppe den BVKJ-Herbst-Seminarkongress in Bad Orb und rief den "Paradigmenwechsel in der Sozialpädiatrie" aus.

Zwei Jahre zuvor hatte Hans Schlack als Herausgeber und Autor 1995 das Lehrbuch "Sozialpädiatrie – Gesundheit, Krankheit, Lebenswelten" publiziert als erste umfassende Übersicht zur Thematik überhaupt, insbesondere auch mit den heute brandaktuellen gesellschaftspolitischen Bezügen der "Public Health" im Sinne von sozialen Gradienten und Abhängigkeiten. Es entwickelte sich rasch zu einem Standardwerk, gefolgt 2009 von "Sozialpädiatrie – Gesundheitswissenschaft und pädiatrischer Alltag" zusammen mit Ute Thyen, Lübeck, und Rüdiger von Kries, München.

Neben seiner wissenschaftlichen und praktisch-klinischen Tätigkeit engagierte sich Hans Schlack stark in der Verbandsaktivität von Fachgesellschaften und damit in der Gesundheitspolitik. Er war wortführend in der Einführung der gesetzlichen Grundlagen für die SPZ (§ 119 SGB V) 1989, vor allem aber in der Diskussion um deren rasche und bis heute nachteilige Modifikation mit Einführung des § 43 a, der 1991 die bis dahin bestehende Vollfinanzierung durch die Krankenkassen aufhob. Bei einer akut einberufenen Vollversammlung der inzwischen etwa 60 SPZ-Leiter im Gustav-Heinemann-Haus wurde festgestellt, dass entgegen der Ankündigung zur Diskussion die politischen Entscheidungen bereits getroffen waren. Dies war die einzige Situation, wo der Autor Hans Schlack jemals laut und ungehalten erlebt hat, was am zuständigen Ministerialdirigenten jedoch effektlos und scheinbar unbeeindruckt abperlte.

1992 endete die Ära Hellbrügge. Bei einer klug vorbereiteten Mitgliederversammlung wurde Hans Schlack überraschend zum Nachfolger und neuen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie gewählt. Er hatte dies angestrebt, um die nach einem Vierteljahrhundert etablierten Strukturen neu zu gestalten. Dies ist ihm in den vier Jahren seiner Präsidentschaft umfassend gelungen. Die Fachgesellschaft profitiert bis heute davon. 2007 ernannte sie Hans Schlack zum Ehrenmitglied.

»Sein Gedankengut und Wirken haben theoretisch, praktisch und persönlich viele und gute Spuren in der Sozialpädiatrie hinterlassen – und werden fortbestehen.«

Darüber hinaus war er in vielen Bereichen aktiv, sowohl durch eigene Beteiligung als auch eine Fülle von Publikationen, nicht zuletzt in der "KiPra". Besonders zu nennen sind hier die Frühförderung, der Öffentliche Gesundheitsdienst, in dem seine Frau viele Jahre als Schulärztin tätig war, und der Wiss. Beirat des Kinder- und Jugend-Gesundheitssurveys KIGGS. Parallel zum Eintritt in den Ruhestand 2004 war er bis 2008 Stellv. Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, DAKJ, als Dachverband der pädiatrischen Fachgesellschaften und Disziplinen, dem heutigen "Bündnis". In Anerkennung seines unermüdlichen Einsatzes und seiner persönlichen Leistungen für benachteiligte und behinderte Kinder sowie deren Familien wurde Hans Schlack 2006 das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Hans Schlack war eine außergewöhnliche und bemerkenswerte Persönlichkeit, stets freundlich und zugewandt, dabei in allen persönlichen Belangen ausgesprochen bescheiden. Er dachte klug, sehr präzise und zielorientiert. Dabei konnte er auch scharf urteilen, was aber mit Humor und feinem Hintersinn abgepuffert wurde. Seine Anekdoten und treffsicheren Zitate – seien es Witze, seien es Merksätze oder assoziierte Gedichte – waren legendär. In seiner überreichen Wortwahl, die gleichwohl nie ausufernd war, konnte er seine persönliche Gabe und die frühe Liebe zur Sprache nicht verleugnen, bis dies krankheitsbedingt in den letzten Jahren für ihn schwieriger wurde. Die Texte der Publikationen sind unverändert nicht nur inhaltlich, sondern eben auch literarisch weiterhin aktuell und lesenswert. Seine Patientinnen und Patienten im Kinderneurologischen Zentrum sprechen voller Hochachtung und Dank von seiner Wärme, Aufmerksamkeit und Herzlichkeit im Umgang; die Mitarbeitenden erlebten eine souveräne Fachlichkeit und die Offenheit für Anliegen in den 28 Jahren seiner Leitungstätigkeit. Die große eigene Familie war ihm mit seiner Frau über mehr als 60 Jahre als zentralem Ankerpunkt sehr wichtig, und im Ruhestand hatte er auch mehr Zeit für sie.

Hans Schlack würde bei einer Veranstaltung nun dezent auf die Uhr schauen und feststellen: "Wenn jetzt keine ganz wichtigen Punkte mehr offen sind, können wir die Sitzung schließen." Wir tun dies in Gedanken und guten Wünschen für seine Frau, die drei Familien seiner Söhne und Schwiegertöchter mit 9 Enkelkindern und mit der Gewissheit, dass Gedankengut und Wirken von Hans Schlack theoretisch, praktisch und persönlich viele und gute Spuren in der Sozialpädiatrie und darüber hinaus hinterlassen haben und fortbestehen werden.

Dr. Helmut Hollmann, Köln/Bonn
mit Unterstützung durch
Dr. Christian Fricke, Hamburg


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (4) Seite 278-279