Am 22. März 2022 verstarb der herausragende Kinder- und Jugendarzt Dr. med. J. A. Ermert. Ein Nachruf von Dr. Johannes Oepen und Bettina Trapp.

Dr. med. J. A. Ermert starb am 22. 03. 2022 nach schwerer Krankheit. Er war ein herausragender Kinder- und Jugendarzt in Deutschland in mehrfacher Hinsicht: Vordenker einer Sozialpädiatrie und einer Medizin für und mit Menschen, die von chronischen Krankheiten betroffen sind – lange vor Formulierung der ICIDH oder ICF-CY! Nicht aus dem Wissenschaftsbetrieb heraus, und nicht als Vertreter einer medizinischen Fachgesellschaft, sondern aus der Kinder- und Jugendarzt-Praxis – räumlich und vom Denken her.

Am 08. 07. 1934 in Köln geboren kam er zunächst als grafischer Zeichner ins Abendgymnasium, um Berufsschullehrer zu werden, hatte sich aber zur Anmeldung in die falsche (?) Schlange gestellt, war damit bei der Medizin gelandet und schrieb sich ein: Das war seine Berufung! Im Abendgymnasium hatte er auch seine Frau Marlis kennen gelernt, mit der er über 50 Jahre verheiratet war: Fünf Kinder und acht Enkel wuchsen mit ihrer Umsicht und seiner Berufung auf. In der Universitäts-Kinderklinik Mainz begegneten ihm Kinder mit Spina bifida, je nach Schweregrad der Ausfälle und Folgeschäden mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Bis in die 60er-Jahre waren die Kinder und ihre Familien abgeschoben, unterversorgt, am Rande von Medizin und Menschlichkeit! „Das Elend dieser Kinder, wie die eingehen, wie die kaputtgehen“, ließ ihn nicht los. Im Universitäts-Betrieb fand er damals kein für seine Vorstellungen ausreichendes Interesse für einen so umfassenden Ansatz von Menschenwürde, Teilhabe und Aktivitäten, und Einbezug von Eltern der Kinder. Er suchte und fand 1974 Dr. Wolfgang Callensee als Partner in der Praxis, der ihn ergänzte, ihm Freiraum lassen konnte und ihn unterstützte.

Dies war auch die Zeit des Aufbruchs, in der z. B. Spitz-Holter-Ventile zur Regulierung von Hirndruck erschienen, dazu Fragen der urologischen und orthopädischen Versorgung: Immer um ein aktives und fröhliches Leben MIT der Erkrankung zu bahnen! Bis weit in die 70er-Jahre herrschte kaum glaub­liche Unkenntnis der neuen Behandlungsmöglichkeiten. Jahrelang musste Dr. Ermert einen großen Teil seiner Energien investieren, Ärztekollegen davon zu überzeugen, dass Menschen mit Spina bifida eine Überlebenschance verdient haben „wie der billige Jakob auf dem Jahrmarkt, der seine Botschaft gar nicht laut genug in die Welt hinaus posaunen konnte,“ schrieb zum 80. Geburtstag Klaus Seidenstücker vom AsbH.

Wichtig war ihm umfangreiches, neuestes Fachwissen und Zuhören, Zeit haben und Empathie für Eltern und später natürlich auch Jugendliche und Erwachsene. Keine Frage war ihm lästig oder unwichtig: bis hin zu einer passenden Berufsfindung und zum Studium (ggf. auch der Medizin), Partnerschaft, Familie und ­Sexualität – das ganze Leben eben. Aus Fragen von Eltern entstand ein Handbuch mit Grundlagenwissen zu fast allen Bereichen der Spina bifida – fremdwortfrei, verständlich und in der Praxis umsetzbar, das Eltern mit einem Neugeborenen in und an die Hand gegeben wird. Mit dem Austausch, Elternabenden und dem Handbuch wurden und werden Eltern Fachleute für ihr Kind. Für ihn waren Eltern immer die wichtigsten Partner und Therapeuten, die die ihr Kind am besten kennen. Er hörte ihnen zu, lernte von ihnen und mit ihnen. Sie waren ihm auch das Maß des Mög­lichen. „Es bringt nichts, wenn Eltern alle aus ärztlicher Sicht verordneten wichtigen Therapien täglich durchführen, aber daran die Familie zerbricht und selbst therapiert werden muss.“
Ein Pfadfinder war er als Jugendlicher – als Pfad-Finder haben ihn viele kennengelernt. Grundsatz der gemeinsamen Arbeit war „kein Fehler darf sich jemals wieder- holen“. Diese komplexe Behinderung war nur gemeinsam mit vielen Fachdisziplinen gut zu behandeln. Er wurde als Pädiater zum Spezialisten für Spina bifida und Brückenbauer für Spezialisten der Neuro­chirurgie, Urologie, Orthopädie, Sozialpädagogik und Psychologie, Pflege und Hilfsmittel-Beratung aus ganz Deutschland, die er zusammenbrachte. Ein Netzwerk, das sich der Kinder annahm und auch Behandlungsmethoden mitent­wickelte und Ursprung vom wissenschaftlichen Beirat der AsbH, der ARQUE – und von Spina-bifida-Ambulanzen in Deutschland.

Früh begann er die Spezialambulanz in Mainz zu sichern. Mit Mitstreitern und Kollegen des SPZ, unzähligen Gesprächen und Kämpfen gelang die Institutionalisierung einer SPZ-Abteilung – immer mit Blick auf die Versorgung Erwachsener. „Wenn wir Erwachsene hier nicht weiter mitversorgen dürfen, ist das für viele ein Todesurteil und eine zweite Selektion“. Seit 2016 gibt es ein MZEB in Mainz, in dem die Versorgung dieser Menschen in seinem Sinne weitergeführt wird.
Nicht nur um die Kinder und Jugend­lichen und ihre Familien, sondern auch um das Denken und Handeln in der Medizin, um die Veränderung der Einstellung zu Menschen mit Spina bifida hat er sich damit verdient gemacht – über das konkrete Krankheitsbild hinaus!


Dr. Johannes Oepen, Pädiater Bad Kreuznach
Bettina Trapp, ARQUE Mainz


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (3) Seite 220