Seit August 2021 gibt es die Leitlinie „Harnwegsinfektionen im Kindesalter“ – welche Aspekte sind für die Praxis relevant? Was ist beim nephrotischen Syndrom in der Praxis zu beachten? Und was gibt es Neues zur glomerulären Hämaturie? Antworten auf diese Fragen hat die Kindernephrologin PD Dr. Kathrin Burgmaier von der Uniklinik Köln.

Harnwegsinfektion: Was bedeutet die neue Leitlinie für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen?

Kathrin Burgmaier: Mit über 170 Seiten ist die im August 2021 erschienene S2k-Leitlinie zu Harnwegsinfektionen im Kindesalter ein beeindruckendes Werk und spiegelt den Umfang kommentierfähiger bzw. diskussionswürdiger Punkte wider [1]. Hier sollen bewusst nur einige Aspekte vorgestellt werden, die für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen relevant erscheinen.

Im Erstkontakt mit Patientinnen und Patienten ist bei Verdacht auf Harnwegsinfektion die Technik der Uringewinnung eminent wichtig: Bei Kindern mit vorhandener Blasenkontrolle soll eine sauber gewonnene (ggf. nach vorheriger Reinigung mit Wasser) Mittelstrahlprobe zur Diagnostik (inkl. Urinkultur) verwendet werden. Bei Kindern ohne Blasenkontrolle (Säuglinge und Kleinkinder) bietet der Blasenpunktions- oder Katheterurin die größte Sicherheit bezüglich der Diagnosebestätigung und potentiell folgender diagnostischer und therapeutischer Schritte.

Als mögliches, wenn auch suboptimales Vorgehen wird die Gewinnung einer Clean-Catch-Probe erachtet. Eine Urinprobe aus Beutelurin ist lediglich für die Durchführung einer differenzialdiagnostischen Untersuchung bei stabilen Kindern möglich. Bei unauffälligem Befund (keine Leukozyturie und/oder Nitriturie) ist eine Harnwegsinfektion weitgehend ausgeschlossen. Bei auffälligem Befund ist die Uringewinnung mittels Clean Catch, Blasenpunktion oder transurethralem Katheterismus zur Verifizierung und evtl. der Anlage einer Urinkultur nachzuziehen. Aufgrund des hohen Kontaminationsrisikos ist ein Beutelurin für die Anlage einer Urinkultur nicht geeignet.

Die Refluxprüfung ist bei Säuglingen und Kleinkindern nach erster Pyelonephritis bei Hinweiszeichen für einen vesiko­ureteralen Reflux (VUR) indiziert, ansonsten spätestens nach dem Rezidiv einer Pyelo­nephritis. Ferner ist der Nachweis einer Non-E.coli-Infektion ein Kriterium für die Durchführung einer Refluxprüfung. Die Prüfung sollte frühestmöglich nach erfolgreicher Therapie der Pyelonephritis erfolgen – der früher empfohlene Abstand von 4 – 6 Wochen nach Pyelonephritis erwies sich als unbegründet [2].

Bei der Auswahl des geeigneten Verfahrens zur Refluxdiagnose bewertet die Leitlinie die sonographische Refluxprüfung (Miktions-Urosonographie, MUS) zur Erstuntersuchung bei Mädchen zum Ausschluss eines höhergradigen VUR sowie in Fällen der Verlaufsbeurteilung und Therapiekontrolle als bevorzugt gegenüber der radiologischen Refluxprüfung (Miktionszyst­urethrographie, MCU) [1].

Nephrotisches Syndrom: Aktuelle Diagnostik und Therapie – was ist in der Praxis zu beachten?

Kathrin Burgmaier: Das Auftreten einer großen Protein­urie (≥ 40 mg/m² Körperoberfläche (KOF)/h bzw. ≥ 1 g/m² KOF/Tag) mit einer assoziierten Hypalbuminämie (< 25 g/l) definiert das nephrotische Syndrom im Kindesalter. Klinisch manifestieren sich häufig begleitend Ödeme (vor allem Lidödeme – unter Umständen einseitig, Hand- und Fußrückenödeme, Unterschenkelödeme), sind aber für die Diagnosestellung nicht obligat.

Für die Diagnostik in der Praxis sind unseres Erachtens folgende Überlegungen relevant:
An Labordiagnostik steht an erster Stelle die Durchführung eines Urinstatus mittels Teststreifen an, da dieser sofort verfügbare Ergebnisse liefert und die für die Diagnosestellung relevante Eiweißfraktion, nämlich das Albumin, im Urin nachweist. In einem von 5 Fällen findet sich zudem eine Mikrohämaturie, die differenzialdiagnostisch (u. a. Abgrenzung des nephritischen Syndroms mit zusätzlicher Nierenfunktionseinschränkung und arterieller Hypertonie) von Relevanz sein kann, jedoch bei der Diagnose eines idiopatischen nephrotischen Syndroms a priori ohne prognostische Bedeutung ist.

Zudem sollte die Entwicklung des Körpergewichtes betrachtet und eine Einschätzung des arteriellen Blutdrucks sowie des Ausmaßes und der Lokalisationen der Ödeme (inklusive Pleuraergüssen und Aszites) erfolgen.

Bei Verdacht auf Vorliegen eines nephrotischen Syndroms, insbesondere bei der Erstmanifestation, empfehlen wir die Einweisung in oder Anbindung an ein kindernephrologisches Zentrum aus dreierlei Gründen: Zum einen ist es vor allem bei der Erstmanifestation wichtig, akute Komplikationen wie Thromboembolien, Infektionen, prärenales akutes Nierenversagen, Lungenödem, hypovolämischer Schock und Invagination zu vermeiden, respektive zu detektieren und zügig zu behandeln. Zum anderen wird die Patientin/der Patient mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 % einen komplizierten Verlauf (häufige Rezidive, Steroidabhängigkeit, Steroid­resistenz) durchmachen, weshalb notwendige diagnostische Schritte frühzeitig und risikoadaptiert eingeleitet werden sollten. Und nicht zuletzt sollte man den Patientinnen und Patienten die Teilnahme an Therapiestudien, die die Verbesserung der Patientenversorgung zum Ziel haben, ermöglichen.

Die Behandlung der Erstmanifestation eines idiopathischen nephrotischen Syndroms erfolgt in Deutschland mit Prednison, wobei die früher propagierte Aufteilung der Tagesdosis in 3 Einzeldosen nun von der Empfehlung zur Einzeldosis abgelöst wird [3]. Die Standardinitialtherapie sieht Prednison in der Dosierung von 60 mg/m²/d p. o. (maximal 80 mg/d p. o.) für 6 Wochen, gefolgt von der alternierenden Gabe von Prednison in der Dosierung von 40 mg/m²/d p. o. alle 2 Tage (maximal 60 mg/d p. o. alle 2 Tage) für weitere 6 Wochen vor. Obgleich die systemische Verfügbarkeit von Prednisolon höher ist als die von Prednison und daher theoretisch eine niedrigere Dosis Prednisolon äquivalent zu Prednison ist, erfolgt in der klinischen Anwendung eine 1 : 1-Dosierung der beiden Wirkstoffe. Nach 12 Wochen Therapie muss das Steroid nicht ausgeschlichen werden. Die aktuelle Leitlinie [3] weist jedoch darauf hin, dass bei Infektionen und Fieber in den ersten 8 – 12 Wochen nach Ende der Steroidtherapie an eine Nebenniereninsuffizienz gedacht und ggf. eine Substitution mit Hydrocortison durchgeführt werden sollte.

Die Behandlung mit steroidsparenden Substanzen (z. B. Ciclosporin A, Tacrolimus, Mycophenolatmofetil (MMF)) sollte an einem kindernephrologischen Zentrum erfolgen. Für Kolleginnen und Kollegen in der Praxis sind mögliche Nebenwirkungen und Interaktionen relevant: Während Ciclosporin A zu Hypertrichose und Gingivahyperplasie führen kann, sind Ciclosporin A und Tacrolimus nephro- und neurotoxische (z. B. Tremor) Nebenwirkungen gemein. Während der Einnahme von MMF kann es zu gastrointestinalen Nebenwirkungen mit Diarrhö und Erbrechen, jedoch auch zu Leukozytopenie und Anämie kommen. Regelmäßige Blutbildkontrollen, aber auch ein therapeutisches Drug-Monitoring helfen bei der Dosisfindung zur Optimierung von Effektivität und Minimierung der Toxizität.

Da beide Calcineurininhibitoren Ciclosporin A und Tacrolimus über das Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 abgebaut werden, sind Inhibitoren oder Induktoren ohne vorherige Dosisanpassung unbedingt zu vermeiden. Neben vielen anderen Beispielen (wie den Azol-Antimykotika und den antiretroviralen Wirkstoffen der HIV-Behandlung) sind im pädiatrischen Alltag v. a. Makrolide (Clarithromycin, Erythromycin), Ciprofloxacin und Grapefruit-Saft als Inhibitoren von CYP3A4 und Rifampicin, Phenobarbital, Oxcarbazepin, Carbamazepin und Johanniskraut als Induktoren zu vermeiden [4]. Während der immunsuppressiven Therapie ist im Besonderen auf ausreichenden Sonnenschutz zu achten.

Da Patienten mit nephrotischem Syndrom insbesondere in den Manifestationsphasen ein erhöhtes Infektionsrisiko aufweisen, sollte der Impfschutz gegen Pneumokokken überprüft und ggf. aufgefrischt werden. Die Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff soll alle 6 Jahre aufgefrischt werden. Ferner sollen die Patienten jährlich gegen Influenza geimpft werden. Grundsätzlich sind in dieser Population die empfohlenen Impfungen gemäß STIKO durchzuführen. Hingewiesen werden muss auf die Einschränkungen, die für Lebendimpfstoffe bei immunsuppressiver Therapie gelten und die dann in der Regel kontraindiziert sind.

Was gibt es Neues zur glomerulären Hämaturie?

Kathrin Burgmaier: Bei Schulkindern konnte mit einer Prävalenz von bis zu 3 – 4 % eine Mikrohämaturie detektiert werden, die Rate fällt auf 1 % für den zwei- oder mehrfachen Nachweis [5]. Das Phänomen tritt somit nicht selten in der kinderärztlichen Praxis auf, zumal bei der U8 eine Urinuntersuchung implementiert ist.

Die glomeruläre Mikrohämaturie muss hierbei von anderen nichtglomerulären Ursachen wie Hyperkalziurie, Nephrolithiasis und Nephrokalzinose abgegrenzt werden. Als mögliche Ursachen einer glomerulären Mikrohämaturie sind eine postinfektiöse Glomerulonephritis, IgA-Nephropathie, eine C3-Glomerulopathie oder eine genetisch bedingte Kollagen-Typ-4-Erkrankung (Alport-Syndrom) relevant. In vielen Fällen kann jedoch die zugrunde liegende Ursache nicht detektiert oder benannt werden. Durch eine 2020 publizierte Studie aus der Studiengruppe der GPN (Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie) konnte erstmals die Sicherheit und Effektivität von Ramipril bei Kindern mit Alport-Syndrom nachgewiesen werden.

Ramipril reduzierte das Risiko der Progression der Nierenfunktionsverschlechterung [6]. Somit birgt eine frühzeitige Erkennung von betroffenen Kindern das immense Potenzial, die Nierenfunktion über viele Jahre zu bewahren und ggf. (je nach Genotyp) das Erreichen einer terminalen Nierenfunktionseinschränkung deutlich zu verzögern oder gar zu vermeiden. Diesem Potenzial sollte in der Betreuung der Kinder mit glomerulärer Hämaturie Rechnung getragen werden, ohne jedoch einer Mehrheit der betroffenen Kinder unnötige laborchemische, bildgebende oder gene­tische Untersuchungen zuzumuten.

Daher empfehlen wir folgendes Vorgehen: Bei isolierter, asymptomatischer glomerulärer Mikrohämaturie mit negativer Familienanamnese und ohne Begleitauffälligkeiten kann zunächst ambulant nachkontrolliert werden. Sollten die glomeruläre Mikrohämaturie über 3 Monate persistieren, eine positive Familienanamnese (Nierenfunktionseinschränkung, Schwerhörigkeit) oder Auffälligkeiten wie eine Mikroalbuminurie bzw. Proteinurie oder eine arterielle Hypertonie vorliegen, empfehlen wir die Vorstellung in einem kindernephrologischen Zentrum. Hier sollte dann nach entsprechender Evaluation die frühzeitige Einleitung einer genetischen Diagnostik mit den Familien thematisiert werden.



Literatur
[1] Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie und Arbeitskreis Kinder- und Jugendurologie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (2021): Interdisziplinäre S2k-Leitlinie: Harnwegsinfektionen im Kindesalter: Diagnostik, Therapie und Prophylaxe. Version 1, 23.08.2021, verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/166-004.html
[2] Mazzi S, Rohner K, Hayes W, Weitz M (2020) Timing of voiding cystourethrography after febrile urinary tract infection in children: a systematic review. Arch Dis Child. 105 (3): 264 – 269. doi:10.1136/archdischild-2019-316958
[3] Idiopathisches Nephrotisches Syndrom im Kindesalter: Diagnostik und Therapie. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/166-001.html
[4] Petri H (2019) Arzneimitteltherapiesicherheit: Das Interaktionspotenzial der selektiven Immunsuppressiva. Dtsch Arztebl 11641 – 1834. https://www.aerzteblatt.de/archiv/210317/Arznei%C2%ADmittel%C2%ADtherapie%C2%ADsicherheit-Das-Interaktionspotenzial-der-selektiven-Immunsuppressiva
[5] Vehaskari VM, Rapola J, Koskimies O, Savilahti E, Vilska J et al. (1979) Microscopic hematuria in school children: epidemiology and clinicopathologic evaluation. J Pediatr. 95 (5 Pt 1): 676 – 684. doi:10.1016/s0022-3476(79)80710-6
[6] Gross O, Tönshoff B, Weber LT, Pape L, Latta K et al. (2020) A multicenter, randomized, placebo-controlled, double-blind phase 3 trial with open-arm comparison indicates safety and efficacy of nephroprotective therapy with ramipril in children with Alport’s syndrome. Kidney Int. 97 (6): 1275 – 1286. doi:10.1016/j.kint.2019.12.015

Korrespondenzadresse
© K. Burgmaier
PD Dr. Kathrin Burgmaier

Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkt Pädiatrische Nephrologie
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Uniklinik Köln
Kerpener Straße 62
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Tel.: 02 21/4 78-43 19
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Interessenkonflikt
Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt in Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (2) Seite 98-100