Wird bei einem Kind Missbrauch oder Vernachlässigung erkannt, sind die Geschwister häufig auch gefährdet, wenn mindestens 3 Risikofaktoren für ein Fehlverhalten der Eltern oder mehrere Formen von Missbrauch vorliegen.

Um zu diesen Erkenntnissen zu gelangen, haben Dr. Nancy Kellogg und Kollegen von der Psychiatrischen Klinik der Universität in San Antonio in den USA retrospektiv Angaben von Kindern ausgewertet, die mit misshandelten oder vernachlässigten Kindern in einem Haushalt lebten und von Pädiatern untersucht wurden, die auf Kindesmisshandlung spezialisiert waren. Hatte sich ein solcher Verdacht (bei zwei Dritteln körperliche Misshandlungen, bei einem Fünftel Vernachlässigungen) bestätigt, entschieden die Kinder- und Jugendärzte auch darüber, ob weitere Kinder aus dem Haushalt (Kontakte) untersucht werden mussten. Bei insgesamt 381 betroffenen Kindern kam es im Anschluss zu ärztlichen Folgeuntersuchungen von 588 Kindern aus denselben Haushalten. In der Regel wurden alle Kontakte von Kindern mit schwerer Vernachlässigung untersucht sowie alle unter vier Jahren (Median 3,5 Jahre) , wenn das Indexkind körperlich misshandelt worden war.

Bei einem Drittel der Indexkinder konnten mindestens drei der folgenden Risikofaktoren für Misshandlungen und Vernachlässigungen ermittelt werden: erhebliche Armut, Entwicklungsverzögerungen, Behinderungen und chronische Erkrankungen bei den betroffenen Kindern sowie psychische Störungen, Drogenkonsum, häusliche Gewalt oder Arbeitslosigkeit bei den Eltern oder Lebenspartnern. Ergebnis: Bei 87 Kindern (15 %) stellte sich ebenfalls eine Misshandlung oder Vernachlässigung heraus.

Besonders häufig wurden Geschwisterkinder dann misshandelt, wenn die Indexkinder mehrere Formen von Misshandlungen und Vernachlässigungen ertragen mussten. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: In 85 % aller Fälle konnten die untersuchenden Pädiater trotz dieser spezifischen Risikokonstellationen keine gravierenden Missbrauch an weiteren Kinder im selben Haushalt feststellen.

Dennoch raten die Studienautoren den Pädiatern dringend dazu, bei multiplen Formen von Misshandlung und Vernachlässigung sowie bei drei oder mehr Risikofaktoren, die auf ein Fehlverhalten der Eltern schließen lassen, in jedem Fall auch die Geschwisterkinder auf typische Anzeichen für sexuellen Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung zu untersuchen. Dies um so mehr, da man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen muss, da auch in der US-Studie nicht alle Kinder aus den betroffenen Haushalten untersucht werden konnten.


R. Schmid