Professor Stephen Faraone, Präsident der World Federation for ADHD, gilt als einer der führenden ADHS-Experten und hat nun mit einem Kollegenteam eine Meta-Analyse mit Studienergebnissen zu ADHS vorgestellt. Die Ergebnisse räumen auch mit manchen Mythen auf.

In Kooperation mit 80 Kollegen aus 27 Ländern wurde die wissenschaftliche Literatur umfassend ausgewertet, um die gängigen Vorurteile und Mythen, die sich um ADHS ranken, zu widerlegen. Metaanalysen mit mindestens 5 Publikationen oder mehr als 2.000 Patienten dienten als Grundlagen der Studie. Es wurden 208 Statements erarbeitet, die in die Themenbereiche Ätiologie, Epidemiologie, Erkrankungsverlauf, Behandlungsziele und Behandlung unterteilt wurden.

Aus den Analysen geht hervor, dass ADHS nur selten durch einen einzigen Faktor ausgelöst wird. Meist spielen mehrere genetische oder umweltbedingte Ursachen eine Rolle.

Widerlegt wird auch die Annahme, dass trotz kleiner Unterschiede in der Struktur und Funktion des Gehirns zwischen Menschen mit und ohne ADHS darauf basierend eine ADHS-Diagnose erstellt werden kann. Die immer wieder umstrittene Bedeutung der medikamentösen Behandlung wird besonders herausgestellt, da sie den Ergebnissen zufolge nachweislich Unfallverletzungen, Knochenbrüche und Schädel-Hirn-Traumata, Depressionen und Suizid sowie Suchtmissbrauch und delinquentes Verhalten verhindern. Die Nebenwirkungen von ADHS-Medikamenten seien dagegen meist mild. Durch eine Änderung der Dosis oder des Medikaments könnten die Patienten zudem immer wieder besser eingestellt werden. Weniger wirksam sind nicht medikamentöse Therapien, sie können aber ergänzend durchaus sehr nützlich sein. Eine optimierte Therapie – so das Fazit – könne die Lebensqualität der Menschen mit ADHS deutlich verbessern und Stigmatisierungen beseitigen.

Die Publikation ist hilfreich für Gespräche mit Eltern in der pädiatrischen Praxis, weil sie Fragen klar beantwortet und Vorurteile bei Laien, aber auch bei Fachleuten ausräumt. Der Artikel ist frei verfügbar und damit für jedermann zugänglich.


Literatur
The World Federation of ADHD International Consensus Statement: 208 Evidence-based conclusions about the disorder https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2021.01.022


Autorin
Katharina Maidhof-Schmid

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (1) Seite 9