Es ist bekannt, dass die Einnahme von Valproinsäure zur Epilepsie-Behandlung von Schwangeren mit einem hohen Risiko für neurologische Störungen bei den Kindern vergesellschaftet ist. Gilt das auch für andere Epilepsie-Medikamente?

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die Einnahme von Valproinsäure zur Behandlung einer Epilepsie während der Schwangerschaft mit einem hohen Risiko für entwicklungsneurologische Störungen bei intrauterin exponierten Kindern vergesellschaftet ist. Für andere anfallssupprimierende Medikamente (ASM) ließen sich solche Risiken nicht in vergleichbarer Weise identifizieren. Darüber hinaus liegen nur sehr limitierte Daten bezüglich des Risikos zur Entwicklung einer Autismus-Spektrum-Erkrankung (ASD) nach maternaler Topiramat-Medikation vor.

Eine amerikanische Forschergruppe identifizierte eine Kohorte schwangerer Frauen, die zwischen 2000 und 2020 mit einem ASM (Lamotrigin, Valproinsäure, Topiramat) behandelt worden sind. Die Schwangeren wurden von der 19. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt in die Studie eingeschlossen. Es wurden Neugeborene mit einer intrauterinen Topiramat-Exposition gegenüber jenen, die Valproinsäure bzw. Lamotrigin ausgesetzt waren, untersucht.

Die kumulative Inzidenz (Basis: 4.199.796 Kinder) einer Autismus-Spektrum-Erkrankung (ASD) nach 8 Jahren betrug 1,9 % für Kinder, die nicht einem ASM ausgesetzt waren. Die Inzidenz für eine ASD bei Kindern von Müttern mit einer Epilepsie, die jedoch kein ASM eingenommen hatten, lag bei 4,2 % (8.815 Kinder), 6,2 % bei Topiramat-Exposition (1.030 Kinder), 10,5 % bei der Einnahme von Valproinsäure (800 Kinder) und 4,1 % bei Exposition mit Lamotrigin (4.205 Kinder).

Die adjustierte Hazard Ratio im Vergleich zur fehlenden intra­uterinen Exposition lagen bei 0,96 (95 %-KI, 0,56 – 1,65) für Topiramat, 2,67 (95 %-KI, 1,69 – 4,2) für Valproinsäure und 1,00 (95 %-KI, 0,69 – 1,54) für Lamotrigin.
Die Autoren schließen aus ihrer Untersuchung, dass die Inzidenz für ASD bei jenen Kindern höher ausfällt, die pränatal ASM ausgesetzt waren. Das Risiko für ASD nach Topiramat- und Lamotrigin-Exposition ist erhöht und deutlich erhöht unter Valproinsäure-Einfluss.

Kommentar:
Die Arbeit bestätigt für Valproinsäure ein hohes Risiko bei intrauteriner Exposition, aber auch für Topiramat und Lamotrigin. Arbeiten dieser Art sind wichtig, um Kenntnisse bezüglich eines pränatalen Risikos für die Entwicklung einer Autismus-Spektrum-Erkrankung (ASD) zu erlangen. Einschränkend muss sicher gesagt werden, dass auch die Ätiologie der Epilepsie beziehungsweise weitere Medikamente (z. B. Neuroleptika) möglicherweise Einfluss auf eine Entwicklungsstörung oder die Ausbildung einer ASD haben.

Literatur
Hernández-Diaz S et al. (2024) Risk of Autism after Prenatal Topiramate, Valproate, or Lamotrigine Exposure. N Engl J Med 390: 1069 – 1079


Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2024; 95 (4) Seite 248