Eine hessische Arbeitsgruppe hat sich der Frage gewidmet, inwieweit eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, wenn Kinder nicht zu den verpflichtenden Kindervorsorgeuntersuchungen erschienen sind. Analysiert wurden 605 Meldungen über nicht durchgeführte Kindervorsorgeuntersuchungen.
Zusammen mit dem Hessischen Kindervorsorgezentrum führte das Jugendamt des Main-Taunus-Kreises eine Untersuchung durch, bei der geprüft wurde, ob die Nichtteilnahme an Kindervorsorgeuntersuchungen als möglicher Hinweis für eine Kindeswohlgefährdung angesehen werden kann. Es wurden 605 Meldungen über nicht durchgeführte Kindervorsorgeuntersuchungen aus dem Jahr 2012, die das Hessische Kindervorsorgezentrum an das Jugendamt geschickt hat, retrospektiv analysiert.
Zum Einsatz kam ein standardisierter Fragebogen sowie bei Fällen, die von dem Jugendamt an den allgemeinen Sozialen Dienst weitergeleitet wurden, eine zusätzliche Befragung des zuständigen Mitarbeiters. Wesentliches Ergebnis war, dass in 60 Fällen (10 %) auch nach Intervention und Meldung an das Jugendamt keine Vorsorgeuntersuchung vorlag. In 165 Fällen (27 %) wurde die Untersuchung verspätet, offenbar durch das Jugendamt vermittelt, durchgeführt. In 9 von 605 Fällen (1,5 %) waren die Familien wegen eines bekannten Kindeswohlgefährdungsprozesses (§8a-Fall) bereits bekannt. Es konnte in dem Kollektiv kein neuer Fall einer Kindeswohlgefährdung detektiert werden. In 58 Fällen wurden durch die Familien Gründe für die ausgebliebene oder verspätete Untersuchung genannt. Solche waren Auslandsaufenthalte und Umzüge (n = 20), Versäumnisse (n = 14) und Krankheit (n = 11). Daneben bestanden bei 6 Fällen keine Informationen bezüglich der Gesetzeslage und in 3 Fällen lagen eine fehlende Krankenversicherung bzw. fehlende Sprachkenntnisse (n = 2) vor. In einem Fall wurde das Gesetz prinzipiell abgelehnt. Die Autoren fanden heraus, dass in 57 % der Fälle am Ende der Fallbearbeitung bereits eine durchgeführte Vorsorgeuntersuchung im empfohlenen Zeitraum dokumentiert werden konnte.
Die Arbeitsgruppe führt aus, dass nicht durchgeführte Kindervorsorgeuntersuchungen, wie bereits Studien in anderen Bundesländern nahelegten, ein Indiz für eine Kindeswohlgefährdung sein können, es aber nicht müssen. Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass auch, wenn die Anzahl der durch nicht vorgenommene Kindervorsorgeuntersuchungen identifizierten Fälle von Kindeswohlgefährdung gering ist, der Ressourceneinsatz insgesamt doch gerechtfertigt sei. Dieses sei letztendlich aber eine politische Entscheidung. Das Gesetz trage jedenfalls auf unterschiedlichen Ebenen zur Sicherung des Kindeswohls bei.
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (2) Seite 79