Das Kindernetzwerk e. V. als ein wichtiger Vertreter der Elternselbsthilfe hat mit Familien gesprochen, die jahrelange Erfahrungen mit Ärzten, Verordnungen und Therapien in Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) haben. Was läuft gut, wo sind Verbesserungen gewünscht?

»Jeder Kinderarzt, der seine Aufgabe voll erfasst, muss gleichzeitig Sozialarzt sein.«
Stefan Engel 1927

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er braucht die Gruppe, um sich wohl zu fühlen. Untersuchungen haben gezeigt, dass verheiratete Menschen älter werden als nicht verheiratete [1], persönliche Gesundheit unter anderem durch soziale Unterstützung getriggert wird [2] und dass Einsamkeit krank macht [3]. Die Gemeinschaft ist das Netz, in dem wir uns wohlfühlen und von dem wir gegebenenfalls aufgefangen werden.

Sozialpädiatrie trägt diesem Ansatz Rechnung. Sie sieht das Kind in seiner Umgebung, in seinem sozialen Netz und versucht, dem betroffenen Kind und der Familie die jeweils angemessene Hilfe zukommen zu lassen.

In ähnlicher Weise handelt Selbsthilfe. Sie hilft, indem sie versucht, den Einzelnen zu stärken, das Leben mit der Erkrankung/Behinderung so "normal wie eben möglich" (was bedeutet: individuell angepasst) zu führen. Sowohl der Ansatz der Sozialpädiatrie als auch der der Selbsthilfe zielen auf Teilhabe, auf die medizinische und psychologische Hilfe zur persönlichen Verwirklichung aller gegebenen und verbleibenden Möglichkeiten.

In Deutschland gibt es zur Zeit zwischen 70.000 und 100.000 Selbsthilfegruppen. Ein großer Teil von ihnen beschäftigt sich mit gesundheitlichen Problemen, der andere Teil mit sozialen, beispielsweise Trauerarbeit, Einsamkeit, oder widmet sich den besonderen Bedarfen von SingleMüttern.

Eltern suchen Halt im Kindernetzwerk

Mindestens jedes achte Kind in Deutschland ist chronisch krank [4] – und das ist eine Angabe aus 2009. Bis heute hat sich die Zahl sicherlich erhöht. Daneben gibt es eine große Anzahl behinderter Kinder, Kinder, die von seltenen Krankheiten betroffen sind und andere, die krank sind, aber keine Diagnose haben. Um all diesen Kindern und ihren Familien eine Heimat zu geben, gründete sich vor mehr als 25 Jahren das Kindernetzwerk (KNW) [5]. Leitender Gedanke war das Verständnis von Krankheit oder Behinderung als eine Komponente, die alle Beziehungen betrifft. Deshalb waren von Beginn an nicht nur die betroffenen Kinder und Jugendlichen im Fokus der Aufmerksamkeit, sondern auch die Eltern bzw. Familien.

Heute zählt das Kindernetzwerk über 200.000 assoziierte Mitglieder; viele Fachverbände aus Medizin und Therapie arbeiten mit ihm zusammen.

Eltern von chronisch kranken oder behinderten Kindern werden oft jahrelang von dem medizinisch-therapeutischen Stab eines Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) betreut. Zurzeit gibt es bundesweit 146 Sozialpädiatrische Zentren mit unterschiedlichen Strukturen und institutioneller Einbindung [6].

Im medizinisch-therapeutischen Alltagsgeschehen eines SPZ kommt es immer wieder zu Spannungen, Missverständnissen und Kommunikationsstörungen zwischen betreuenden Ärzten, Verwaltung und betroffenen Eltern. Das KNW sprach mit Familien, die teils jahrelange Erfahrungen mit Ärzten, Verordnungen und Therapien in SPZ haben. Die nachfolgenden Zitate (kursiv) stammen aus diesen Gesprächen.

Prinzipiell schätzen die Eltern betroffener Kinder die Arbeit der SPZ-Teams sehr:

"SPZ sind wichtig, da die ‚normalen‘ Kinderärzte von Behinderungen kaum Ahnung haben, vieles viel zu spät oder nicht erkennen und die Kinderärzte bei behinderten Kindern von vielen Stellen nicht als fachkompetent anerkannt werden oder z. B. gar keine Atteste ausstellen, weil sie aus Erfahrung nicht anerkannt werden. Also es ist noch viel zu verbessern und allen Eltern zu wünschen, dass sie nicht erst nach einer Odyssee an eine Stelle kommen, die ihrem Kind und ihnen wirklich hilft und sie unterstützt!"

Augenhöhe – das wichtigste Qualitätsmerkmal eines SPZ

Ein großer Aspekt bei der Bewertung eines SPZ-Teams und seiner Hilfsmöglichkeiten liegt in der Art der Begegnung der Ärzte bzw. des medizinischen Personals und der Eltern. Hier treffen erlernte und erlebte Kompetenz aufeinander. Ärzte, besonders solche, die sich jahrelang mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen beschäftigen, reklamieren – oft zu Recht – neben ihrer erlernten Kompetenz eine erlebte zu besitzen. Umgekehrt geben Eltern, die sich jahrelang mit der Erkrankung/Behinderung des Kindes beschäftigen an, teilweise tiefer im Thema zu sein als die behandelnden Ärzte, und das nicht nur im täglichen Umgang mit der Erkrankung, sondern auch in der Theorie. Viele Eltern bilden sich fort – sei es durch Vorträge der Selbsthilfe, durch den Besuch von Kongressen und Tagungen oder durch eine intensive Lektüre. Dennoch beklagen sie oft eine gewisse Geringschätzung ihres geschulten Elternseins.

"... und vor allem: Eltern auf Augenhöhe begegnen, sie nicht als lästige Bittsteller sehen, sondern ihre Kompetenz als Eltern sehen und nutzen."

Dazu gehört auch eine grundlegend positive Einstellung zur Interdisziplinarität, das Wissen um die Wichtigkeit von Eltern als Co-Therapeuten und die ordnungsgemäße Weitergabe von Daten und Anamnesen an später behandelnde Ärzte.

"... nicht jedes Mal ein neuer Arzt/eine neue Ärztin dem/der man alles wieder von vorne erzählen muss und die natürlich auch keine Fort- oder Rückschritte erkennen können. Eben bei komplexer Behinderung."

In den Augen der Eltern gilt auch die Handhabungen der Terminvergabe und Termingestaltung als Indikator einer Begegnung auf Augenhöhe:

"Wichtig finde ich auch, dass Termine eingehalten werden. Wenn man um 8 Uhr dort sein soll und ist sichtlich der erste Patient, dann ist es unmöglich, wenn man erst um 9 Uhr drankommt, ohne dass vorher jemand da war."

Eine Mutter berichtet von einer erbosten Ärztin, die beklagte, dass das Kind nicht schlafe, wenn es zu so einer teuren Untersuchung wie dem EEG komme. Die Mutter habe dafür zu sorgen, dass das Kind schlafend ankomme.

"Die Terminbriefe enthalten keine genauen Informationen über den Inhalt der Untersuchungen. Lediglich der Fachbereich wird genannt. Es kann sein, dass das Kind bei der einen oder anderen Untersuchung zum Schlafen gebracht werden muss (EEG). Diese Information wird allerdings nicht übermittelt. Es wird auch nicht mit den Eltern abgesprochen, welche Tageszeit sich für dieses Kind am besten eignet, wenn man es wach transportieren und schlafend untersuchen möchte. Schläft das Kind dann schon im Vorfeld (was bei Kleinkindern im Auto zur Mittagszeit durchaus möglich ist), sieht man sich dem Vorwurf ausgesetzt, man verschwende die teure Untersuchung. Der Hinweis, dass das Kind mittags müde sei, wurde damit kommentiert, deswegen legte man die Termine auf diese Uhrzeit. Das Schlafen wäre unabdingbar für diese Untersuchung. Man solle das Kind im Auto halt wachhalten."

Hilfsangebote bereithalten – ein weiteres großes Qualitätsmerkmal

Die Bezeichnung SPZ trägt das Soziale in sich. Viele Eltern fühlen sich medizinisch gut in den Zentren betreut, vermissen aber die Unterstützung in sozialer, in Teilhabe ermöglichender Hinsicht. Einen großen Teil ihrer ohnehin sehr angefüllten Zeit müssen Eltern betroffener Kinder der Informationssuche, der Protokollierung des Zustandes des Kindes und der Antragsstellung für Hilfs- und Heilmittel opfern. Diese Mühen würden sie gerne minimieren und die so frei werdende Zeit ihren Kindern widmen. Sie wünschen sich in den SPZ-Teams einen Ansprechpartner für die vielen Belange ihres komplexen Lebens.

"Ärzte müssen früh auf die Rechte und finanziellen Unterstützungen für die von Behinderung betroffenen Familien hinweisen oder die Betroffenen an entsprechende Beratungsstellen weiterleiten. Über die medizinische Betreuung wird dieser Punkt oft nicht abgedeckt (Pflegeberatung usw.), daher sollte schon von Arztseite eine Vermittlung an entsprechende Stellen erfolgen."

Oder:

"Tipps bezüglich Hilfs- und Beratungsangeboten (z. B. Frühförderung), auch Hinweise auf mögliche Hilfsmittel, auf Betreuungsangebote, auf Selbsthilfevereine. Und das Ganze innerhalb eines angemessenen Zeitraums. Drei Monate warten auf ein Therapieangebot innerhalb des nächsten halben Jahres ist definitiv zu lang!"

Insgesamt kann man sagen, dass die Idee eines Zentrums, in dem viele medizinische Fachrichtungen zusammenarbeiten, eine gute, wenn auch nicht neue, ist [7]. Umsetzungsproblematiken, d. h. Schwierigkeiten im täglichen Miteinander von Ärzten und Patienten, geschehen überall und werden bemängelt. Wünschenswert wäre eine gute Vernetzung der Ärzte innerhalb eines SPZ untereinander. Die Qualität der Vernetzung nach draußen – mit Kliniken, mit Praxen und Therapeuten – wird von der überwiegenden Mehrheit der Eltern als gut bewertet. Die innere Vernetzung scheint jedoch noch ein Problem zu sein.

"Es wäre schön, wenn man den Ärzten vertrauen könnte und wenn alle, die zusammen für das Kind arbeiten, an einem Strang ziehen."

Um die Verbesserung bestehender Probleme zu erreichen, wurde ein zentraler Qualitätsarbeitskreis aller SPZ eingerichtet [8]. Die Elternselbsthilfe, hier zu nennen das Kindernetzwerk, sieht ihre Mitarbeit in Hinsicht auf die Sozialpädiatrie als Ort der Vermittlung und Klärung. Eltern können Beanstandungen mit den SPZ und deren Arbeit hier melden, können aber natürlich auch ihr Lob abgeben. Das Kindernetzwerk wird alle Angaben an die zuständigen Stellen weiterleiten.


Literatur
1. http://www.alltagsforschung.de/ja-ich-will-verheiratete-leben-langer/; 11.06.2018;
2. https://www.allianzdeutschland.de/studie-verheiratete-leben-laenger/id_77017926/index; 11.06.2018
3. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/Geda2010/Soziale_unterstuetzung.pdf?__blob=publicationFile; 11.06.2018
4. http://www.stern.de/gesundheit/fuenf-gruende--warum-einsamkeit-krank-macht-3261548.html; 11.06.2018
5. http://www.stern.de/gesundheit/fuenf-gruende--warum-einsamkeit-krank-macht-3261548.html; 11.06.2018
6. http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/adipositas/article/576288/jedes-achte-kind-deutschland-chronisch-krank-probleme-verschaerfen.html; 11.06.2018
7. www.kindernetzwerk.de; http://www.dgspj.de/qualitaetssicherung/zentraler-qualitaetsarbeitskreis/; 25.10.2016
8. http://www.dgspj.de/institution/sozialpaediatrische-zentren/; 11.06.2018


Korrespondenzadresse
Dr. Annette Mund
Bundesvorsitzende Kindernetzwerk e. V.
Zeisigweg 4
53639 Königswinter
Tel.: 0 22 44/87 33 83

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (5) Seite 352-356