Der Kinderschützer Heinz Hilgers warnt vor der Illusion, dass 2,4 Milliarden Euro für die Finanzierung der Kindergrundsicherung ausreichen werden - und nennt die Hintergründe.

Der Kinderschützer Heinz Hilgers ist bekannt dafür, kein Blatt vor dem Mund zu nehmen. So warnt er in einem Exklusivinterview mit dem Deutschen Kinderbulletin vor der Illusion, dass 2,4 Milliarden Euro für die Finanzierung der Kindergrundsicherung ausreichen werden, um den notwendigen Systemwechsel zu schaffen und Kinderarmut wirksam zu bekämpfen. Hilgers: „Wir haben 14 Millionen Kinder in Deutschland und wenn man das einmal herunterrechnet, sind das pro Kind im Jahr 171 Euro mehr.“ Hilgers weiß, wovon er spricht, da der ehemalige Leiter des Jugendamtes Dormagen und Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes auch der Mitbegründer des „Bündnis Kindergrundsicherung“ ist.

Die geplante Kindergrundsicherung soll Kinderarmut in Deutschland bekämpfen. Mit ihr sollen ab 2025 Leistungen für Familien wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Leistungen zu einem Bürgergeld für Kinder zusammengefasst werden. Ein Garantiebetrag – das bisherige Kindergeld – soll nach den Plänen für alle Familien einkommensunabhängig gezahlt werden. Für Familien mit wenig oder keinem Einkommen soll es einen Zuschlag geben.

Diesen grundlegenden Ansatz hält Hilgers für richtig, weil er lange überfällige strukturelle Veränderungen impliziert. Doch die finanzielle Ausstattung der Kindergrundsicherung sei – gerade im Vergleich zu anderen Haushaltsposten – viel zu gering. Allein das Ehegattensplitting koste rund 25 Milliarden Euro jährlich, komme aber nicht zielgerichtet bei den Kindern an, die es brauchen. Für die Kinderfreibeträge müssen jährlich 3 – 5 Mrd. Euro veranschlagt werden, von denen auch Eltern mit Spitzeneinkommen profitieren. Es ist also laut Hilgers Geld im System der Familienförderung vorhanden, nur die Verteilung stimme nicht.

Ziel müsse es sein, finanzielle Leistungen für alle Kinder in angemessener Höhe zu erbringen, die echte Teilhabe ermöglichen. Dafür müsse aber erst einmal neu berechnet werden, was Kinder für ein gutes Aufwachsen brauchen. Hilgers: „Eine solche Neuberechnung ist aktuell leider nicht geplant, obwohl sie im Koalitionsvertrag vereinbart wurde“. Zudem müssten Geldleistungen möglichst automatisch bei den Familien ankommen, ohne große Antragskämpfe. Familien müssten zudem von Anfang an eine einzige Behörde als Ansprechpartner haben, wo sie sich mit allen Problemen digital und analog hinwenden können. Das Vorpreschen etwa aus Reihen der FDP, eine solche Sozialreform nur mit einem Gesamtkonzept für stärkere Arbeitsanreize im Sozialstaat zu beschließen, weist Hilgers hingegen im Interview mit dem Deutschen Kinderbulletin brüsk zurück: „Warum Eltern nicht oder wenig arbeiten, hat meist nichts mit dem Willen, sondern mit den äußeren Umständen zu tun, wenn es etwa keine ausreichende Betreuung für die Kinder gibt? Anstatt Eltern unter den Generalverdacht der Faulheit zu stellen, sollten Politiker besser ihre Energie dafür verwenden, die massiven Infrastrukturprobleme im Bereich der Kinderförderung endlich zu beseitigen.“

Die Initiatoren des Deutschen Kinderbulletins bestehen aus einer Gruppe von Bildungs- und Sozialwissenschaftlern, Kinder- und Jugendärzten und Fach-Journalisten, die die politische Kindermedizin in Deutschland stärken wollen. Dabei sollen auch Wege aufgezeigt werden, wie man sozial benachteiligte Kinder von Anfang an und so früh wie möglich fördern kann, um zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu gelangen.



Autor
© Hartmut Kreutz
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2024; 95 (1) Seite 8