In der Wintersaison 2022/2023 waren Kinderkliniken und Kinderarztpraxen durch einen massiven Anstieg von Infektionen überfüllt. Wie ist die aktuelle Situation, was ist zu erwarten, und wie können sich Kliniken und Praxen inklusive ihrer Patientinnen und Patienten vorbereiten? Eine Einschätzung von PD Dr. Nicole Töpfner, Dresden.

Im Interview:
Priv.-Doz. Dr. med. Nicole Töpfner ist Fachärztin für Kinder und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden und 2. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI).

Kinderärztliche Praxis: In der vergangenen Wintersaison gab es in der Pädiatrie hohe Infektionszahlen und schwere Verläufe. Wie ist die Situation aktuell?

PD Dr. med. Nicole Töpfner: Im vergangenen Winter bis in das Frühjahr hinein kam es zu insgesamt sehr, sehr vielen und zudem auch zu vielen schweren viralen und bakteriellen Infektionen bei Kindern und Jugendlichen. Momentan werden noch etliche Kinder mit Komplikationen nachbetreut, die sich zum Beispiel aus Hirnabszessen und eitrigen Knocheninfektionen ergeben haben. Zum Glück hat aber aktuell, mit Einsetzen der wärmeren Temperaturen, die große Welle an Neuinfektionen deutlich abgenommen.

Was ist in den Kinderkliniken und Praxen zu erwarten?

PD Dr. med. Nicole Töpfner: In den Sommermonaten ist zunächst von einer kurzen Erholungspause auszugehen. Es zirkulieren weniger respiratorische Viren, und durch die Sommerferien gibt es zusätzlich weniger Transmissionsmöglichkeiten in den Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen. Für die kommende Wintersaison ist allerdings nicht davon auszugehen, dass sich die Infektionszahlen schon vollständig normalisieren. Die Pandemiejahre und der durch die Präventionsmaßnahmen bedingte Schutz vor verschiedensten Infektionen ist auch mit einer gewissen Immunitätslücke einhergegangen. Diese wird sich in den kommenden Jahren wieder schließen. Dass dazu aber eine einzige, sehr starke Infektionswelle, wie wir sie im vergangenen Winter erlebt haben, ausreichen wird, ist eher unwahrscheinlich. Deshalb ist eher mit weiterhin erhöhten Infektionszahlen auch im kommenden Winter zu rechnen.

»In den Sommermonaten ist zunächst von einer kurzen Erholungspause auszugehen. Die Immunitätslücke wird sich jedoch erst in den kommenden Jahren wieder schließen.«

Wie können sich Kinderkliniken und Praxen besser auf die kommende Saison vorbereiten?

PD Dr. med. Nicole Töpfner: In der Pädiatrie sind wir eine gewisse Saisonalität bei akuten Infektionen gewohnt. Allerdings hat uns diese Wintersaison gezeigt, dass wir im Rahmen der regulär sehr ökonomischen Planung unseres Gesundheitssystems in extremen Stoßzeiten an die Grenzen der Belastbarkeit kommen. Bei einem 5-fachen Anstieg der allein durch RSV-bedingten stationären Aufnahmen und einem 350-fachen Anstieg dieser Patienteninnen und Patienten auf den Intensivstationen kann mit gleichbleibenden Ressourcen keine gleichbleibende Versorgung mehr stattfinden.
Es ist wichtig, mit den Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen und die Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen anhand der gesammelten Erfahrungen nachhaltig zu verbessern. Insbesondere ist es entscheidend, bis zum nächsten Winter auch die Versorgungsengpässe von Antibiotika, Antipyretika, Analgetika etc. in kindgerechten Darreichungsformen zu beseitigen.
In konkreter Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen ist es wichtig, die von der STIKO empfohlenen Schutzimpfungen für alle und die Indikationsimpfungen für Risikogruppen durchzuführen bzw. zu vervollständigen.

Hinweis:
Die DGPI hat für die häufigsten Infektionen eine Liste mit antibiotischen Alternativpräparaten erstellt. Diese ist im Internet frei über die DGPI-Website verfügbar.

Frau Dr. Töpfner, vielen Dank für die Informationen.

Interview: Angelika Leidner