50. Interdisziplinärer Herbstseminarkongress in Brixen: Die Teilnehmer blickten auf eine lange Tradition zurück. Es gab Kontinuität, Aktuelles, ein Sozialpädiatrie-Quiz - und Diskussionen bis in die Nacht. Ein Bericht von Ute Mendes.

Der Herbst kommt und Brixen ruft. Und das nunmehr seit einem halben Jahrhundert! Hätte Professor Theodor Hellbrügge 1972 gedacht, dass es den von ihm ins Leben gerufenen Kongress nach 50 Jahren immer noch gibt?

Die diesjährigen Teilnehmer jedenfalls waren in jedem Fall dankbar für diese lange Tradition und feierten das Jubiläum gemeinsam mit der Stadt Brixen, die mit der Tourismus Genossenschaft und dem Krankenhaus den Kongress seit Jahrzehnten intensiv unterstützt. Kontinuität gab es auch bei den Inhalten. 1972 waren im Programm ganz ähnliche Themen wie heute. "Entwicklungsdiagnostik und Entwicklungstherapie" und "Sprachanbahnung bei geistig behinderten Kindern" las man damals im Programm. Man traf sich, fächerübergreifend, tauschte sich aus und lernte miteinander und voneinander. Und intensivierte all das bei den Neustifter Gesprächen im kleinen Kreis, aus denen Fachbücher entstanden.

Hochpolitisches Fachgebiet

Helmut Hollmann, der diesen Kongress 11 Jahre leitete, berichtete im Festvortrag ausführlich, woher die Sozialpädiatrie kommt und sieht diese Fachrichtung heute wie damals auch als hochpolitisches medizinisches Fachgebiet. Dennoch ist die Sozialpädiatrie nicht mehr die gleiche: Heute stehen wir mitten in einem Änderungsprozess unserer Herangehensweise in der Sorge für Kinder und Jugendliche, die unsere Hilfe brauchen. Nicht die "Heilung", sondern die Teilhabe steht im Mittelpunkt unserer Überlegungen.

Die Fachvorträge standen in diesem Jahr unter drei Überschriften. Unter "State of the art" gab es Beiträge zum aktuellen Wissenstand. Hier war Professor Manfred Döpfner zu hören, der mit seinem Vortrag "Stepped care bei ADHS" sein Lebenswerk weiterverfolgt. Und Professor Oskar Jenni stellte in seinem Seminar zur "Zürcher Neuromotorik" ein wichtiges entwicklungsneurologisches Instrument vor.

"Wer ist hier der Experte?"

Die zweite Rubrik "Grenzgebiete" war die Brücke zu Themen, ohne die die Sozialpädiatrie nicht existieren kann. Thomas Becher aus Düsseldorf stellte mit seinem Vortrag: "Bin ich hier der Experte? – Von Patienten (-Eltern) lernen" Kompetenzen und Erwartungen von Kindern und Eltern in den Mittelpunkt. Und Dirk Schnabel erläuterte das Konzept "Comprehensive Care bei chronischen Erkrankungen", mit der im SPZ der Charité den Anforderungen chronisch kranker Kinder und Jugendlicher begegnet wird.

Und weil das alles nur geht, wenn wir im Austausch miteinander sind, war der dritte Block der "Kommunikation" und ihren verschiedenen Facetten gewidmet. Philipp Dinkel von der Quest-Akademie führte im Seminar in die "Motivierende Gesprächsführung" ein. Was sich hinter dem Vortragstitel von Peter Borusiak verbarg, wissen nur die, die da waren. Er hieß: "Viestintäongelmista jokapäiväisessä elämässä" und beschäftigte sich ebenfalls mit Kommunikation.

Ganz besonders gelobt wurde von den Teilnehmenden der Vortrag von Stefan Steinbach aus Bonn zu einer zeitgemäßen Physiotherapie.

Diskussionen bis in die Nacht …

Und wer den Kongress in Brixen kennt, weiß, hier wird nicht nur zugehört, sondern diskutiert bis in die Nacht und auch bei der Wanderung zum Festabend ins benachbarte Kloster Neustift. Dort wurde gefeiert, und beim Referentenabend gab es ein Sozialpädiatrie-Quiz, dem es beinahe gelungen wäre, die Überlegenheit interdisziplinärer Schwarmintelligenz zu beweisen. Doch die Ärzte hatten inzwischen so viel von den anderen Berufsgruppen gelernt, dass sie knapp gewannen. Der Brixener Sozialpädiatrie-Kongress steht für Lernen mit Spaß und Leidenschaft, für Begegnung und Austausch und all das jetzt seit 50 Jahren.



Autorin
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Dr. Ute Mendes

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Tel.: 0 30/1 30 23 15 45
E-Mail: ute.mendes@vivantes.de

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (6) Seite 472-473