Wer das Franz-Sales-Haus in Essen nicht kennt, hat etwas verpasst. Es ist benannt nach Franz Sales, dem Patron der Gehörlosen und ist eine inklusive Einrichtung für Klein und Groß, Frühförderung, MZEB, Arbeit und Wohnen in einer passenden Umgebung. Dazu gehört auch ein inklusives Hotel mit Kongressräumen, bestens geeignet als Tagungsstätte für das Forum Sozialpädiatrie 2024. Ein Tagungsbericht von Christoph Kretzschmar.

Dass wir uns an diesem Ort einfinden konnten, haben wir dem organisatorischen Enthusiasmus der SPZ-Teams von Wesel (Stefanie Boßerhoff), Oberhausen (Joachim Opp) und Coesfeld-Westmünsterland (Ludger Kämmerling) zu verdanken. Dass die Mitarbeitenden der SPZ nicht nur ihre Patientenversorgung gut managen, sondern auch Großveranstaltungen mit bis zu 200 Teilnehmern auch ganz ohne professionelle Hilfe bestens organisieren können, haben sie mit dem Forum Sozialpädiatrie in Essen unter Beweis gestellt.

Die Vollversammlung der SPZ-Leiterinnen und Leiter Deutschlands, organisiert in der BAG-SPZ, sowie die BAG der Psychologinnen und Psychologen in SPZ (BAG-Psych), aber auch die Arbeitsmöglichkeiten der einzelnen AGs des Zentralen Qualitätsarbeitskreises (ZQ AK) hatten beste Arbeitsvoraussetzungen, um konstruktive Ergebnisse zu erzielen. Die Plenarvorträge und die Workshops, offen für die Teilnehmer des Forums, waren organisatorisch so zusammengestellt, dass alle auf ihre Kosten kommen konnten. Für die Auswahl der Plenarvorträge und der Workshops zeichnete sich die BAG-Psych der SPZ und die veranstaltenden SPZ verantwortlich. Neben den Kerntagen Donnerstag und Freitag hat sich nun auch der Samstag als Zugabe mit dem gut besuchten Symposium zur Hilfsmittelversorgung, organisiert von der AG Hilfsmittel (Mona Dreesmann, Potsdam) und die "Denkfabrik" Patientenverwaltungssysteme, veranstaltet durch die AG Digitalisierung (Jens Teichler, Konstanz) als zusätzlicher Forumstag etabliert.

Erste Zertifikate für 30 SPZ

Als repräsentatives Highlight muss unbedingt die Überreichung der ersten Zertifikate "wegweisend – Für die Entwicklung von Kindern" an 30 SPZ genannt werden, die sich in der ersten Bewertungsrunde ihre strukturelle Qualität bestätigen ließen (Introbild). Weitere werden sicher folgen. Helmut Hollmann als Sprecher der Bewertungskommission dankte den Protagonisten, die innerhalb der BAG-SPZ diesen wichtigen Prozess angestoßen und nun zum Abschluss gebracht haben. Dank galt insbesondere der Leiterin der AG Zertifizierung innerhalb des ZQ AK der BAG-SPZ, Frau Karin Hameister (Unna), für ihre strukturelle Stringenz sowie als Motor in diesem Prozess (Abb. 1). Die Bestätigung, dass man damit auf dem richtigen Weg war, drückte Claudia Mittendorf als Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten in Nordrhein-Westfalen aus. Insbesondere das Vorhandensein der Institution SPZ für die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen und Behinderungen schätzte sie als unabdingbar ein.

© DGSPJ Geschäftsstelle
Abb. 1: Das langjährige Engagement von Dr. Karin Hameister als Sprecherin der AG ­Zertifizierung wurde vom Präsidenten der DGSPJ, Herrn Prof. Volker Mall, besonders ­gewürdigt

Wichtige Themen der Vollversammlung der BAG-SPZ waren aktuelle gesundheitspolitische Themen im Bund, aber auch in den einzelnen Landesarbeitsgemeinschaften der SPZ. Die Zahlen und Ergebnisse der SPZ-Strukturanalyse (Umfrage vom 4. Quartal 2022) beantworten Fragen zur Diagnosehäufigkeit, der Anzahl der behandelten Patientinnen und Patienten sowie die dazu zur Verfügung stehende personelle Größe der einzelnen SPZ und deren Finanzgrundlage, aber auch die fehlende adäquate finanzielle Mitbeteiligung der Sozial- und Jugendämter.

SPZ-Analyse zeigt Baustellen auf

Die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen stellen die SPZ vor große Herausforderungen. Um den wechselnden Gegebenheiten gerecht zu werden, müssen sich die SPZ-Strukturen diesen anpassen. Hierüber berichtete die Arbeitsgruppe des "Altöttinger Papiers", welches die Grundlagen und Zielvorgaben für die SPZ beschreibt und die 3. Überarbeitung seit Erscheinungsdatum 2003 in Angriff genommen hat und zeigte entsprechende zu bearbeitende Baustellen auf.

Die Plenarvorträge am Donnerstagnachmittag führten dann alle Teilnehmer des Forums erstmalig zusammen. Frau Dr. Maria del Pilar Andrino, leitende Ärztin im Franz-Sales-Haus, stellte die Arbeitsweise des MZEB vor Ort dar. Beeindruckend war, dass auch eine zahnärztliche Sprechstunde mit zum Behandlungsangebot gehört. Wohl wissend, wie schwierig die medizinische Versorgung dieser meist schwerstmehrfachbehinderten erwachsenen Patientinnen und Patienten im vertragsärztlichen Bereich ist, ist es aber auch unverständlich, dass die Kostenträger nur die Diagnostik, nicht aber die sich daraus anschließende Behandlung finanzieren. Dass dies an der Versorgungsnotwendigkeit dieser Patientengruppe vorbeigeht, zeigt, dass in anderen Bundesländern die Behandlung im MZEB von der GKV voll übernommen wird.

Dr. Hauke Duckwitz (SPZ Düsseldorf-Gerresheim) richtete den Blick auf die Belange des Kinderschutzes, speziell auf die Patientinnen und Patienten, die vorwiegend in den SPZ gesehen werden und sensibilisierte uns dafür, was auch wir übersehen könnten.

Häufig hat man bei diesem Thema auch mit der Jugendhilfe zu tun, somit war als abschließender Referent Herr Daniel Thomsen vom Fachbereich Jugend des Landkreises Nordfriesland erhellend und erfrischend zugleich. Mit seinem systemischen Blick auf die Belange von Kindern und Jugendlichen, insbesondere mit der Überwindung der Versäulung im Sozialsystem, beschritt er neue und auch Hoffnung machende Wege.

Das kommunikative Herzstück des Forums Sozialpädiatrie ist das "Come together" am Donnerstagabend, wo alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forums sich in Gesprächen über fachliche, organisatorische, aber natürlich auch persönliche Themen austauschen können. Man hat die Möglichkeit, sich kennenzulernen und sich somit auch bundesweit zu vernetzen. Auch hier passte alles: die Tagungsstätte mit ihren Mitarbeitern, die Räumlichkeiten und auch die kulinarischen Rahmenbedingungen.

Gibt es "unauffällige Familien?"

Der Freitag, inhaltlich unter der Federführung der BAG-Psych konzipiert, setzte in seinen Plenarvorträgen auf Themen, die uns in der alltäglichen Arbeit in den SPZ begegnen.

Frau Dr. Heike Kramer vom Netzwerk FASD in Nordbayern gab einen Einblick in die präventive Arbeit, insbesondere in Workshops mit Jugendlichen in den Schulen. Wie man bei dieser Gruppe zielgerichtet punkten kann, ist ein Ergebnis von jahrelangem Engagement, Berufserfahrung und einem ständigen Dazulernen.

Die provokante These, ob visuelle Wahrnehmungsstörung autistisches Verhalten oder ob der Autismus eine visuelle Wahrnehmungsstörung hervorruft, stellte Frau Dr. Anne Schröder (Werner-Otto-Institut Hamburg), die seit Jahren neben der Patientenversorgung auch wissenschaftlich zu diesem Thema arbeitet, zur Diskussion. Die Praxis im Umgang mit diesen Patientinnen und Patienten zeigt, dass man diesen Aspekt unbedingt beachten sollte.

Bei den vielen komplexen Familienproblemen, mit denen man im Alltag im SPZ konfrontiert wird, ist eine "unauffällige Familie" im SPZ besonders gern gesehen. Aber trügt auch nicht manchmal der Schein? Dr. Alexander Barth (SPZ Konstanz) zeigte anhand von Fallbeispielen, dass auch hier gezieltes Nachfragen wichtig ist und Überraschendes zu Tage bringt. Frühe Interventionen werden dann bei diesen Familien häufig gern angenommen.

Der Freitagnachmittag bot 20 verschiedene thematische Workshops an, wobei man die Möglichkeit hatte, sich für zwei Workshops zu entscheiden. Bei der Praxisnähe der Themen war dann die Entscheidung "für" oder "gegen" für viele eine Herausforderung.

Anforderungen an ein Praxisverwaltungssystem (PVS) – ein Lastenheft

Der Samstag etabliert sich zusehends als Fort- und Weiterbildungstag innerhalb des Forums. Beim "Hilfsmitteltag" stand diesmal die orthetische Versorgung der oberen und unteren Extremität im Mittelpunkt.

Der Workshop zur Digitalisierung in SPZ war im Sinne eines Brainstormings angelegt. Da es bei der unterschiedlichen Trägerschaft der SPZ nicht realistisch erscheint, ein einheitliches, auf SPZ-Belange zugeschnittenes Praxisverwaltungssystem (PVS) zu bekommen, ist eher der Weg sinnvoll, essenzielle Notwendigkeiten und Bedürfnisse an ein PVS zu beschreiben und dies im Sinne eines Lastenheftes zu dokumentieren. Dieses Lastenheft könnte dann den SPZ helfen, die die schwierige Aufgabe haben, sich ein neues PVS zuzulegen, um für die Ausschreibung entsprechende Anforderungen formulieren zu können.

Besonderes Forum 2025 in Heidelberg

Die Organisation und Durchführung eines Forums Sozialpädiatrie ist aufwendig. Der Wert des Austausches mit Kolleginnen und Kollegen im Sinne des Erkenntnisgewinns und der Netzwerkarbeit ist jedoch kaum zu beziffern, sodass man sich auch auf ein Forum Sozialpädiatrie 2025 freuen kann. Schon die Überschrift "Das 12. Forum Sozialpädiatrie goes EACD" zeigt, dass es im nächsten Jahr ein ganz besonderes Treffen sein wird. In Heidelberg wird vom 24. bis 28. 06. 2025 der Europäische und der Weltkongress für Childhood Disability and Developmental Medicine (combined IAACD/EACD 2025) stattfinden. Dementsprechend würde sich das Forum Sozialpädiatrie an diesen Termin andocken, um somit Weiterbildung "pur" anbieten und den Blick weit über die Grenzen richten zu können. Die Vollversammlung der BAG-SPZ wird dann auch am 26. 06. 2025 in diesem Rahmen stattfinden.

Auf ein Wiedersehen in Heidelberg 2025!

Dr. med. Christoph Kretzschmar
Vorstandsmitglied der DGSPJ

Näheres jederzeit auf und natürlich hier in der Kipra.

Autor:
Dr. med. Christoph Kretzschmar
Städtisches Klinikum Dresden
Industriestraße 40
01129 Dresden
Tel.: 03 51/8 56-35 52
Fax: 0 70 71/29-52 36


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2024; 95 (4) Seite x-x