Eine Erfolgsgeschichte oder Trauerspiel mit ungewissem Ausgang?
Zunächst kann von einer Erfolgsgeschichte wohl keine Rede sein. Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels, gute 3 Wochen nach der Frist, die das 2. Bevölkerungsschutzgesetz zur Umsetzung von Vergütungsanpassungen gesetzt hat, gibt es bundesweit noch für kein einziges SPZ eine Vereinbarung mit den Krankenkassen.
Dafür aber viel Widerstand und zahlreiche Versuche seitens der Kostenträger, die Umsetzung zu verhindern, zu verzögern oder zu unterlaufen. Die Verweigerungshaltung der Kostenträger, gesetzliche Vorgaben umzusetzen, ist beispiellos, ein skandalöses Trauerspiel mit ungewissem Ausgang. Man kann dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Jürgen Dusel, nur danken, dass er dies in einer Presseerklärung genauso artikuliert hat (siehe Kasten).
SPZ zunächst nicht im Fokus …
Diese Presseerklärung lässt aufhorchen. Offensichtlich sind die SPZ in der Politik präsenter geworden als dies noch vor 6 Monaten der Fall war. Das könnte Hoffnung machen. Es lohnt an dieser Stelle daher ein Rückblick: Mit dem Beginn der Pandemie hat man zunächst wenig von den SPZ gehört; beschäftigt mit dem Lockdown, der Anpassung der SPZ-Arbeit an die gesetzlichen Vorgaben und die Beteiligung an Vorbereitungsmaßnahmen für den Massenanfall von beatmungspflichtigen Corona-Patienten in den Kliniken waren alle Ressourcen vollständig absorbiert.
Der erste Rettungsschirm, fokussiert auf die Erhaltung und Existenzsicherung der Einrichtungen, die sich an der Akutversorgung beteiligten, ging quasi unbemerkt an uns vorüber. Wir gehörten nicht in dieses Programm, dies war inhaltlich klar und schlüssig – und trotzdem: So nachvollziehbar die initiale Schockstarre war, ungefährlich war sie nicht. Die Erkenntnis, dass auch unter den Bedingungen der Ausgangsbeschränkungen die völlig alternativlosen Telefon- und Video-Sprechstunden einer gesetzlichen Regelung bedürfen, hat sich "tröpfchenweise" gegen die (gut nachvollziehbare und gesündere?) Einstellung – "Wie kann es sein, dass man dafür erst eine Regelung braucht?" durchgesetzt.
… dann aus dem SGB V herausgenommen …
Wir sind also mit einer Verzögerung an den Start und eine Aufholjagd begann. In den ersten Entwürfen für den zweiten Rettungsschirm kamen die SPZ schlicht nicht vor. Immerhin: Wir haben dies erkannt und sind aufgewacht. Rückblickend lässt sich feststellen, dass wir eine beispiellose Welle politischer Aktivitäten entfaltet haben: Lokalpolitiker, Landespolitiker und Bundespolitiker wurden aktiviert und informiert und nicht selten kam die Rückmeldung: "Danke für die Information, wir haben bereits 20 Briefe zu diesem Thema erhalten." Auch wurden die SPZ erstmals ernst genommen und in der ersten Lesung des Gesetzestextes, am Donnerstag dem 07. 05. 2020 dann auch erwähnt, das Problem war das "Wie". Der Rettungsschirm für SPZ wurde auf den "Frühförderanteil" reduziert, wir wurden aktiv aus dem SGB V herausgenommen und es wurde schnell klar, dass dieser, in der ersten Lesung verabschiedete Entwurf deutlich schlimmer war, als gar nicht erwähnt zu werden. Dieses Gesetz war ein Rettungsschirmverhinderungsgesetz und mehr: Die aktive Herausnahme aus dem SGB V hätte unabsehbare Konsequenzen für die Refinanzierung von SPZ auch nach der Pandemie haben können.
… bis schließlich ein Rettungsschirm gespannt wurde
Wie es weiterging, ist eigentlich nur im Ergebnis klar: 3 Werktage später wurde in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz verabschiedet, welches einen klaren SGB-V-Bezug hergestellt hat und wenn auch an vielen Stellen ungenau und nicht unseren Vorstellungen entsprechend, so doch als Grundlage für einen soliden Rettungsschirm dienen kann. Und hier liegt eben doch eine Erfolgsgeschichte verborgen: Zwischen erster und zweiter Lesung von einer Katastrophe – man muss den Gesetzestext der ersten Lesung als solchen bezeichnen – zu einem juristisch belastbaren SGB-V-Rettungsschirm für SPZ ist ein großer Erfolg, der wahrscheinlich auf einer veränderten politischen Wahrnehmung der SPZ basiert.
Was lernen wir aus dieser (Erfolgs?-)Geschichte?
- Die nicht undramatische Wendung zwischen erster und zweiter Lesung ist ein Erfolg der von uns mobilisierten Politiker, von Politikern, die SPZ-Arbeit verstanden haben und wertschätzen und wir müssen mit ihnen im Gespräch bleiben, sei es mit Erfolgsmeldungen über die geglückte Umsetzung von Rettungsschirmen – wozu es hoffentlich doch noch kommt – oder mit entsprechenden Hilferufen. Das narrative Moment der Geschichte müssen wir nutzen. Wir haben gezeigt, dass wir mobilisieren können, "dran zu bleiben" ist das Gebot der Stunde.
- Wir haben uns auf Landes- und Bundesebene sehr gut vernetzt, das war die absolute Voraussetzung, erfolgreich zu sein. Hierzu hat auch die enge Zusammenarbeit mit Jochen Scheel von der GKinD beigetragen – die Mitgliedschaft in dieser Institution muss für jedes SPZ eine Selbstverständlichkeit sein. Gut ist nie gut genug, und wir sollten Überlegungen anstellen, wie wir uns noch besser aufstellen können, um auch kontinuierlich politische Lobbyarbeit in Berlin zu machen.
- Und last but not least: Wir waren erfolgreicher in der Durchsetzung der SPZ-Interessen gegenüber den Krankenkassen, die bundesweiten Abweichungen der erzielten Vereinbarungen unter Pandemiebedingungen waren im Vergleich zu den sonstigen Unterschieden eher gering. Auch hier war es die bundesweite Koordination und die Unnachgiebigkeit jedes Einzelnen, die zum Erfolg führte.
Weiter so, möchte man resümieren. Und im Namen des Vorstandes ein ganz herzliches Dankeschön seitens des DGSPJ-Vorstandes an alle Beteiligten aussprechen, insbesondere an Jochen Scheel und die Sprecherinnen der Bundesarbeitsgemeinschaft der SPZ, Ilona Krois und Antje Hoffmann!
Im Folgenden veröffentlichen wir den nur leicht gekürzten Inhalt des Appells des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung vom 23. 06. 2020, der sicherlich großen Einfluss hatte, damit sich ein Rettungsschirm für SPZ öffnen konnte.
Jürgen Dusel sieht mit großer Sorge die Situation von Medizinischen Zentren für Erwachsene Menschen mit Behinderungen (MZEB) und Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ). Deren finanzielle Situation sei gefährdet, davon ist der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung überzeugt. Hintergrund sei die bislang unzulängliche Umsetzung des zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Dieses verpflichtet die Krankenkassen, ihre Vergütungsverträge mit MZEB und SPZ „aufgrund der besonderen Situation dieser Einrichtungen durch die SARS-CoV-2-Pandemie bis zum 20. Juni 2020 vorübergehend anzupassen“. Obwohl diese Frist inzwischen verstrichen ist, sei offensichtlich noch kein Vergütungsvertrag angepasst worden.
„Es kann nicht sein, dass unser hervorragendes Gesundheitssystem, das so flexibel und zuverlässig auf die Corona-Krise reagiert hat, jetzt einen ganzen Versorgungsbereich im Stich lässt, der sich seit vielen Jahren unter schwierigsten Bedingungen um eine der vulnerabelsten Gruppen unserer Gesellschaft kümmert“, so Jürgen Dusel. „Die Krankenkassen müssen jetzt schnell und unbürokratisch die gesetzlichen Bestimmungen umsetzen. Die Vertragsänderungen müssen sicherstellen, dass kein MZEB und kein SPZ in der Corona-Krise in existenzielle Not gerät“, mahnt der Beauftragte.
Die Situation der MZEB sei auch unabhängig von Corona nicht einfach. Bereits im vergangenen Jahr hatte Dusel in seinen Teilhabeempfehlungen die Bundesregierung aufgefordert, für einen flächendeckenden Ausbau und eine Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten zu sorgen, damit auch Erwachsene mit einer schweren Behinderung überall in Deutschland die gesundheitliche Versorgung erhalten, die sie aufgrund ihrer Beeinträchtigungen brauchen. Dazu hat sich Deutschland durch Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor 11 Jahren verpflichtet. MZEB und SPZ sind laut des Behindertenbeauftragten durch die Corona-Krise teilweise in ihrer Existenz bedroht und brauchen dringend finanzielle Hilfen, damit sie ihren Betrieb aufrechterhalten können. Ein akuter Grund sei zum Beispiel, dass Behandlungstermine abgesagt wurden, weil die Gefährdung als zu groß eingeschätzt wurde oder schlichtweg Betreuungspersonal zur Begleitung fehlte.Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2020; 91 (5) Seite 36-369