Das Dilemma ist seit Langem bekannt: Den Kinderkliniken in Deutschland mangelt es an Personal und Geld. Viele Betten bleiben deshalb unbelegt. Das betrifft insbesondere die Intensivversorgung.

Die Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat dazu jetzt neue – außerordentlich ernüchternde – Zahlen vorgelegt. Nach den Ergebnissen einer DIVI-Umfrage waren im Februar 2024 lediglich 65 Prozent der Intensivbetten für Kinder in Betrieb.

Für die Umfrage waren 145 Kinderintensivstationen angeschrieben worden, von denen 91 geantwortet haben. Das entspricht einer hohen Beteiligungsquote von fast zwei Drittel aller Intensivstationen. Doch eklatante Versorgungsmängel gibt es nicht nur dort. Beispiel Universitätsklinikum Essen „Wir haben große Probleme, alle Kinder unterzubekommen“, sagt Prof. Ursula Felderhoff-Müser, die die Kinderklinik I in Essen leitet, der Deutschen Presse Agentur. Zur Klinik gehören die Bereiche Früh- und Neugeborenenmedizin, Kinderintensivmedizin und Kinderneurologie. „Wir weisen keine kranken Kinder ohne eine Erstversorgung ab“, sagt die Pädiaterin, die seit Kurzem auch Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) ist. Wegen des Bettenmangels komme es aber vor, dass Kinder für die weitere Behandlung in ein – auch weiter vom Wohnort entferntes – Krankenhaus geschickt werden müssen.

Bettenmangel bedeutet jedoch nicht zwingend, dass in einer Kinderklinik nicht ausreichend Betten stehen. Der Hauptgrund für die Engpässe bei der Versorgung von kritisch kranken Kindern sei insbesondere der „eklatante Fachkräftemangel bei Pädiatern und insbesondere in der Pflege, konstatiert Bernhard Hoch, Geschäftsführer der Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland (GKIND). Schuld daran sei insbesondere die neue generalistische Ausbildung, bei der im Bereich der Pädiatrie im dritten Ausbildungsjahr viel zu wenige Ausbildungskapazitäten angeboten werden. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit blieben freie Krankenpflegestellen vergangenes Jahr im Schnitt 191 Tage lang unbesetzt. „Wir könnten durchaus auf den Intensivstationen noch jeweils zwei, drei Betten am Tag mehr betreiben, wenn wir das Pflegepersonal hätten“, bekräftigt auch Felderhoff-Müser.

Weitere Ursache dieser Misere ist laut Hoch auch die schrumpfende Zahl der Abteilungen oder Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland. 2022 gab es noch 326, 114 weniger als vor gut 30 Jahren. Zugleich steige der Bedarf in Gestalt von mehr chronischen Erkrankungen sowie durch tendenziell steigende Geburtenzahlen.

Um noch mehr Insolvenzen oder Schließungen von Kinderkliniken zu vermeiden, fordern Hoch und Felderhoff-Müser eine Grundsicherung der Einrichtungen. Erste Schritte in diese Richtung hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits Ende 2022 eingeleitet, indem er gesetzlich geregelt hatte, dass den Kinderkliniken 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro mehr zugutekommen sollten. Allerdings würden laut Hoch diese Soforthilfen allen Kliniken zufließen, auch wenn sie nur wenige Kinder versorgen. Für die reinen Kinderabteilungen bleibe dadurch weniger als eigentlich erforderlich übrig. Oder die Gelder würden dafür verwendet, um Defizite auszugleichen, anstatt neue Stellen zu schaffen, beklagt Felderhoff-Müser.

Raimund Schmid/dpa