Es gibt die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), es gibt Sozialpädiatrische Zentren und viele weitere Termini in diesem Kontext. Aber was genau ist Sozialpädiatrie? In welcher Beziehung steht sie zu anderen Disziplinen? Eine Einordung nimmt Chefredakteur Professor Knut Brockmann in seinem Editorial vor.

Liebe Leserinnen und Leser,

wie Sie wissen, wird die "Kinderärztliche Praxis" von der DGSPJ, der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. herausgegeben. Nicht so ganz selten hört man die Frage: "Was ist Sozialpädiatrie?"

In Deutschland werden mit diesem Begriff durchaus unterschiedliche Bedeutungen und Assoziationen verknüpft. In erster Linie stellt Sozialpädiatrie ein Querschnittsfach in der Kinder- und Jugendmedizin dar. In ihrem 2009 erschienenen Lehrbuch "Sozialpädiatrie" haben Schlack, Thyen und von Kries einleitend ihr Sujet folgendermaßen definiert: "Sozialpädiatrie ist die Wissenschaft von den äußeren Einflüssen auf Gesundheit und Entwicklung im Kindes- und Jugendalter. Zu ihren Aufgaben gehört auch die praktische Umsetzung dieses Wissens in Prävention, Kuration und Rehabilitation mit besonderer Berücksichtigung von Lebensbewältigung und gesellschaftlicher Teilhabe. Sozialpädiatrie ist somit eine Querschnittwissenschaft in der Kinder- und Jugendmedizin."

Daraus ergeben sich vielfältige Beziehungen zu den Disziplinen Sozialmedizin, Public Health und Gesundheitswissenschaften. Der englische Terminus "Social Pediatrics" bezeichnet auch international den Zweig der Pädiatrie, der die sozialen, gesellschaftlichen und umweltbedingten Determinanten von Gesundheit und Krankheit im Kindes- und Jugendalter fokussiert.

Speziell hierzulande ist der Begriff "Sozialpädiatrie" daneben aber auch mit dem Konzept einer multidisziplinären Betreuung chronisch komplex kranker Kinder verbunden, denn dieses Behandlungskonzept wird in Deutschland vor allem in den "Sozialpädiatrischen Zentren" (SPZ) umgesetzt. In § 119 SGB V, der gesetzlichen Verankerung der SPZ, findet sich der den meisten von Ihnen sicher gut bekannte Satz: "Die Behandlung durch sozialpädiatrische Zentren ist auf diejenigen Kinder auszurichten, die wegen der Art, Schwere oder Dauer ihrer Krankheit oder einer drohenden Krankheit nicht von geeigneten Ärzten oder in geeigneten Frühförderstellen behandelt werden können." In dieser gesetzlichen Grundlage steht nichts von speziellen Krankheits- oder Diagnosegruppen, die in SPZ behandelt werden sollen. Der Gesetzgeber zielte doch mit diesem Paragraphen ganz offenbar darauf ab, allen Kindern und Jugendlichen mit komplexen chronischen Krankheiten, nicht nur Patienten mit Entwicklungsstörungen und neurologischen Krankheiten, die Behandlung in einer Spezialambulanz durch ein multidisziplinäres Team zu ermöglichen. Ein solches Team kann nicht nur den somatisch-biologischen, sondern auch den psychosozialen Aspekten chronischer Gesundheitsstörungen in besonderem Maße gerecht werden.

Ich persönlich halte den Terminus "Sozialpädiatrisches Zentrum" für nicht ganz glücklich gewählt. Diese Spezialambulanzen werden aus historischen Gründen als ausdrücklich "sozialpädiatrisch" apostrophiert und nicht einfach "Spezialisierte Pädiatrische Zentren" genannt. Sozialpädiatrische Aspekte – gemäß der oben genannten Definition – sind ja bei der ambulanten oder stationären Betreuung kranker Kinder und Jugendlicher in den Praxen niedergelassener Kinderärztinnen und Kinderärzte oder in den Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin nicht weniger bedeutsam als in einem SPZ. Aber "Spezialisiertes Pädiatrisches Zentrum" erinnert an den Begriff der "Ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung", und der ist ebenso wie "Sozialpädiatrisches Zentrum" sozialrechtlich ja fest etabliert. Diese Termini kann man natürlich nicht so einfach wieder ändern, und das ist auch nicht mein Anliegen. Ich möchte nur in Erinnerung rufen, dass das SGB V eine bedarfsgerechte multiprofessionelle SPZ-Betreuung bei allen pädiatrischen Diagnosen ermöglichen will.

Wie eng die Verknüpfung der Pädiatrie insgesamt mit dem "sozialpädiatrischen" Konzept der multidisziplinären Betreuung vor allem chronisch komplex kranker Kinder und Jugendlicher sein muss, um für diese Patienten eine optimale Versorgung nach dem bio-psycho-sozialen Modell zu ermöglichen, stellt Prof. Florian Heinen, München, in dieser Kipra überzeugend dar.

Zu dieser Thematik hat es in den letzten Jahren in der deutschen Pädiatrie viele und z. T. kontroverse Diskussionen gegeben. Sie als Leserinnen und Leser dieser Kipra werden sicher auch nicht alle einer Meinung dazu sein – umso mehr würden wir uns freuen, wenn Sie uns zu den Beiträgen in diesem Heft wieder Ihr "Feedback" geben!


Prof. Dr. Knut Brockmann, Chefredakteur


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (3) Seite 145