Worte sind wirksame Instrumente. Um diese Instrumente gezielt zum Wohle des Kindes einzusetzen, ist ein Grundverständnis notwendig. Dies erfordert regelmäßige Selbstreflexion und Training. Wie man negative Suggestionen vermeidet und positive verwendet - speziell im Gespräch mit Kindern -, lesen Sie in diesem Beitrag.

Worte prägen unser Leben, unsere Erfahrungswirklichkeit, unseren Alltag. Auch im Arbeitsalltag mit Patienten sind wir stets am Kommunizieren, sprich: Worte verwenden. Oft machen wir uns nicht bewusst, was wir mit Worten auslösen. Wir können deren Wirkung jedoch auch gezielt einsetzen und unerwünschte Wirkungen vermeiden. Im Folgenden fokussieren wir auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Worte sind ein für uns prägendes Kulturgut. In der Genesis beginnt die Schöpfung der Welt mit Worten: "Und Gott sprach: Es werde Licht." Die Zehn Gebote wurden nicht als Bilder dargestellt, sondern in Worten auf die Tafel geschrieben – sogar das Gebot: "Du sollst dir kein Bildnis machen!" Rhetorik zieht sich durch viele gesellschaftsrelevante Gebiete. Als zentrale politische Institution trägt das Parlament das Sprechen in seiner Bezeichnung, und das Debattieren und das Diskutieren sind der Kern parlamentarischer Aktivität. Im religiösen Kontext sind es Predigten, die gehalten werden, in politischen Reden, von "I have a dream" bis zu stündlichen Twitternachrichten ranghoher Politiker, werden Meinungen und Haltungen in Worten formuliert. Die Werbung spielt mit Worten, sodass die Firma dahinter gar nicht mehr genannt werden muss, wie zum Beispiel bei "Just do it" oder "Wer hat’s erfunden?".

Über die Namen ihrer Kinder zerbrechen sich die meisten Eltern den Kopf, weil uns klar ist, dass das Wort, mit dem wir bezeichnet werden, identitätsstiftend ist; in einigen Sprachräumen ist im Namen automatisch die familiäre Herkunft enthalten. Die ersten Worte eines Kindes sind wichtige entwicklungspsychologische Meilensteine, die Eltern oft gut in Erinnerung bleiben. Wenn wir den Kindern Geschichten erzählen, wollen sie diese oft im immer gleichen Wortlaut hören: "Aber Großmutter, warum hast du so große Hände? Damit ich dich besser packen kann!" soll bitte nicht in Varianten formuliert werden. Lesen und Schreiben sind Schulfächer der ersten Stunden, sie gelten als Kulturfertigkeiten, über die wir kognitive Leistungsfähigkeit definieren. Zeichnen, Gestalten, Musizieren oder Zaubern gehören hingegen eher in den Bereich der Hobbys, des "nice to have", und scheinen damit "nicht wirklich wichtig".

Worte können wehtun

Die verbale Kommunikation ist das zentrale Element der zwischenmenschlichen Verständigung, sowohl schriftlich als auch mündlich. Seit spätestens 2004 ist bekannt, dass nicht nur körperliche Läsionen zu Schmerzempfinden führen, sondern auch emotionale Verletzungen und Belastungen, zum Beispiel soziale Zurückweisung und verbale Angriffe oder Abwertungen [1]. Eine geeignete Kommunikation kann hingegen schmerzstillend oder schmerzreduzierend sein – mit dem Risiko unerwünschter Nebenwirkungen: "Communication is the most dangerous medical procedure", so formulierte es Dr. Peter Brindley, Head of Critical Care, University of Alberta Hospital, anlässlich des Hypnosekongresses 2018.

So kann die Aufmerksamkeit in einem Gespräch zwar gerade bei Kindern gezielt gesteuert werden, aber wir machen sowohl als Fachpersonen in Gesundheitsberufen als auch als Eltern die Erfahrung, dass eine gut gemeinte Beruhigung ("Du musst keine Angst haben."; "Das tut nicht weh.") oft das Gegenteil erreicht.

Sichtweise und Weltbild des Kindes

Die Denk- und Sichtweisen von Kindern unterscheiden sich je nach Entwicklungsstand und sozialem Umfeld. Das gilt es in der Kommunikation mit Kindern zu berücksichtigen. Während wir Erwachsenen in unserer Kultur Zusammenhänge naturwissenschaftlich und rational erklären können, ist die Logik von Kindern je nach Altersstufe eine andere: Im Alter von ca. 3 bis 6 Jahren ist magisches Denken, das Denken in "Wenn-dann-Ketten" oder "Schwarz-Weiß" häufig. Bei Grundschulkindern (ca. 7 bis 10 Jahre) wird das Denken in einfacher Form vernetzt, das Verhalten muss gerecht und nachvollziehbar sein (moralisches Alter), in Vorpubertät und Jugendalter werden zunehmend komplexere Zusammenhänge erkannt, philosophische und ethisch-moralische Überlegungen angestellt [2].

Um mit Kindern ins Gespräch zu kommen, ist es hilfreich, ihre Welt zu kennen. Möglicherweise sind Pokemons dort eher vorhanden als Hänsel und Gretel. Die Exploration des Lebensumfeldes (aktuelle Interessen, Hobbys, Aktivitäten mit Freunden und Familie) gibt Hinweise auf die Sichtweise und das Weltbild des Kindes. Daran kann in der Kommunikation angeknüpft werden, gerade auch in schwierigen Situationen.

Perspektivenwechsel

Während der unheimliche Schatten im Schlafzimmer in der Sichtweise eines Kindes ein gefährliches Monster darstellen kann, sehen wir Erwachsene lediglich den Staub unter dem Bett, wie es Ernie und Bert in der "Sesamstraße " vorführen (https://www.rosenfluh.ch/qr/ernie). Haben Sie schon einmal Ihr Sprechzimmer aus einer Höhe von 65 cm ab Boden angeschaut? Oder haben Sie – in Anlehnung an den Film "Der Club der toten Dichter" – schon einmal auf Ihrem Schreibtisch gestanden und diese Perspektive eingenommen? Um mit einem Kind erfolgreich zu kommunizieren, muss ein Perspektivenwechsel immer wieder bewusst vorgenommen werden.

Tab. 1: Beispiele für Negativ- und ­Positivsuggestionen
Negativsuggestionen
  • Es gibt einen Stich.
  • Das tut nicht weh.
  • Das ist nicht schlimm.
  • Du musst keine Angst haben.
  • Du hast nichts.

Positivsuggestionen
  • Du wirst etwas spüren, erzähl mir nachher, was du gespürt hast.
  • Um welchen Teil von dir müssen wir uns besonders kümmern?
  • Du kannst gesunde Luft einatmen.
  • Du kannst Unangenehmes wegpusten.
  • Du kannst die Hände/Füße öffnen.
  • Du kannst mir helfen, indem du für mich dieses Pflaster hältst.

Worte als Placebo/Nocebo

Nocebo- und Placeboeffekte in der Arzt-Patienten-Kommunikation sind bei Erwachsenen ausführlich beschrieben. Die Erwartungen, die ein Patient an eine medizinische Maßnahme hat, haben einen großen Einfluss darauf, wie diese Handlung erlebt wird. Lang et al. beschreiben, wie die Ankündigung einer schmerzhaften Intervention oder einer unangenehmen Erfahrung zu einem erhöhten Schmerzerleben beim Patienten führte [3]. Selbst auf neurobiologischer und biochemischer Ebene gibt es nachweisbare Wirkungen der Kommunikation.

Benedetti zeigte in Übersichtsarbeiten, dass negative verbale Äußerungen antizipatorische Ängste bezüglich der möglicherweise bevorstehenden Schmerzen auslösen. Diese verbal induzierten Ängste triggern die Aktivierung von Cholezystokinin (CCK), was wiederum die Schmerzleitung verstärkend beeinflusst [4]. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die placeboinduzierten neurobiologischen Mechanismen – bei Schmerz sind das die opioidergen, dopaminergen und cholezystokinergen Netzwerke – den medikamenteninduzierten Mechanismen sehr ähnlich sind [5]. Positive Äußerungen aktivieren das endogene μ-Opioid-System als Placebo, negative Äußerungen die endogenen CKK-Rezeptoren mit Nocebowirkung. Für den klinischen Kontext bedeutet das, dass die Kontaktgestaltung zwischen Arzt und Patient bei jeder ärztlichen Intervention einen wesentlichen Teil darstellt [6].

Placeboeffekte sind bei Kindern deutlich weniger untersucht als bei Erwachsenen. In einem Review [7] kommen Weimer et al. zu dem Schluss, dass die Mechanismen vermutlich vergleichbar sind wie bei Erwachsenen. Bei Kindern sind jedoch Erwartungseffekte kleiner und Lernmechanismen ausgeprägter, und insbesondere die Kontaktzeit mit dem Patienten spielt eine größere Rolle als bei den Erwachsenen. Kinder scheinen zudem stärker auf Placeboeffekte zu reagieren.

Die spezielle Situation im Behandlungszimmer

Arzt- und Krankenhausbesuche sind für pädiatrische Patienten und deren Bezugspersonen ein spezielles Erlebnis. Dabei ist die Aufmerksamkeit anders als bei Routinetätigkeiten fokussiert. Es entsteht eine veränderte Wahrnehmung [2], wodurch Aussagen, Verneinungen und Scherze fehlgedeutet werden können. Der Patient kann hierbei zugänglich für Suggestionen sein, wobei Suggestion nicht im Sinne von Manipulation verstanden wird, sondern aus dem englischen Wort "suggestion" für "Vorschlag " abgeleitet wird. Diese Suggestionen können entweder die ängstliche Erwartung von Schmerz verstärken oder das Vertrauen in die eigenen Ressourcen im Sinne von Salutogenese unter-
stützen.

Im Vokabular des Behandlungszimmers finden sich unzählige Formulierungen, die negative oder schmerzhafte Assoziationen auslösen: stechen, Spritze, Stich, Nadel, brennen, schlimm, Angst, Schmerz usw. Mit gut gemeinten Besänftigungen wird versucht, die Kinder zu beruhigen: "Das ist nicht schlimm", "Du musst keine

Angst haben", "Das dauert nicht lang". Sämtliche Formulierungen mit Verneinungen ("Das tut nicht sehr weh", "Achte nicht darauf", "Mach Dir keine Sorgen") können in diesen Situationen gegenteilig verstanden werden und negative Erwartungen auslösen [3]. Diese erhöhen als Noceboeffekte die Wahrscheinlichkeit, dass genau das eintritt, was eigentlich verhindert werden sollte: Angst, Schmerz, Sorgen und Aufmerksamkeit, die auf notwendige Interventionen gerichtet wird, zum Beispiel den Stich der Nadel. Beispiele für negative und positive Formulierungen sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Einfluss der Bezugsperson: "Placebo/Nocebo by Proxy"

Aus Erfahrung ist bekannt, dass das Verhalten und die Reaktionen von Bezugspersonen ein Kind beeinflussen. In der Anwesenheit einer entspannten und Sicherheit gebenden Mutter verhält sich ein Kind im Behandlungszimmer anders als in Begleitung einer ängstlichen Tante.

In einer Übersichtsarbeit fasste Czerniak [8] die wenigen vorhandenen Arbeiten zu Einflüssen nahestehender Personen (Eltern, Bezugspersonen, Freunde) auf die Behandlung von Kindern zusammen. Exakte Mechanismen dieses dynamischen, komplexen und reziproken Phänomens sind zwar nicht eindeutig klar, die konkreten Auswirkungen sind jedoch deutlich. Die kausale Richtung (von den Eltern zum Kind oder umgekehrt) ist nicht eindeutig bestimmt. Die Untersuchungen zeigen, dass zum Beispiel mütterliches Verhalten einen direkten Einfluss auf die vom Kind angegebene Schmerzstärke hat. Kontextuelle Faktoren beeinflussen das Ansprechen auf medikamentöse Behandlung, und es ist nicht überraschend, dass Bezugspersonen eine Rolle für die Reaktion des Kindes auf eine Behandlung spielen. Weil Worte sowohl Placebo- als auch Nocebowirkung haben können, lohnt es sich, auch die Eltern dafür zu sensibilisieren, was ihre eigenen Erwartungen, Äußerungen und Antworten bei den Kindern bewirken.

Ressourcenaktivierung

Für eine erfolgreiche Ressourcenaktivierung sollte die Situation für alle Beteiligten möglichst angenehm gestaltet werden. Eine sorgfältige Wortwahl mit ausreichend positiven Suggestionen ist von großer Bedeutung. Diese sollen ehrlich, realistisch, ernsthaft und sowohl auf die Situation als auch auf das Kind bezogen sein (Tab. 1). Mit diesen Kommunikationstools gelingt es, für unsere Patienten eine unterstützende Umgebung zu schaffen und unseren klinischen Alltag mit Kreativität zu bereichern.

Wesentliches für die Praxis . . .
  • Worte sind wirksame Instrumente.
  • Um diese Instrumente gezielt zum Wohle des Kindes einzusetzen ist ein Grundverständnis notwendig. Dies erfordert regelmäßige Selbstreflexion und Training.
  • Das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen muss an Alter und Entwicklungsstand angepasst sein.
  • Vermeiden Sie Negationen wie "Tut nicht weh".
  • Verwenden Sie positive Suggestionen wie "Sag mir, was du gespürt hast".
  • Machen Sie die begleitenden Bezugspersonen zu Ihren Verbündeten.

Literatur
1. Eisenberger NI, Lieberman MD (2004) Why rejection hurts: a common neural alarm system for physical and social pain. Trends Cogn Sci 8 (7): 294 – 300
2. Zech N et al. (2015) Kommunikation mit Kindern. Der Anaesthesist 64: 197 – 207
3. Lang EV et al. (2005) Can words hurt? Patient-provider interactions during invasive procedures. Pain 114 (1 – 2): 303 – 309
4. Benedetti F et al. (2007) When words are painful: unraveling the mechanisms of the nocebo effect. Neuroscience 147 (2): 260 – 271
5. Benedetti F, Amanzio M (2011) The placebo response: how words and rituals change the patient’s brain. Patient Educ Couns 84 (3): 413 – 419
6. Langewitz W (2018) Techniken der patientenzentrierten Kommunikation. In: Uexküll et al. (Hrsg.) Psychosomatische Medizin. Theoretische Modelle und klinische Praxis. 8. Auflg., Elsevier
7. Weimer K et al. (2013) Placebo effects in children: a review. Pediatr Res 74 (1): 96 – 102
8. Czerniak E et al. (2020) "Placebo by proxy" and "nocebo by proxy" in children: a review of parents’ role in treatment outcomes. Front Psychiatry 11: 169


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Oberarzt Schmerztherapie
Kantonsspital Graubünden
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7000 Chur

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift PÄDIATRIE 3/2020 (Rosenfluh Publikationen AG). Der bearbeitete Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (4) Seite 80-82