Gedanken und Fakten aus pädiatrisch-psychotherapeutischer Sicht von Kinderarzt Stephan Nolte.
Nachdem im November 2022 die Nachricht durch die Medien ging, dass sich die 41-jährige Paris Hilton, Erbin, Model, Glamourgirl und Schauspielerin, Eizellen hat entnehmen und einfrieren lassen, um mit ihrem Partner Carter Reum in vitro Kinder zu zeugen, wurde das Thema "reproduktive Techniken bei Kinderwunsch" in einer neuen Dimension medial ausgebreitet.
Paris Hilton: Weg zum Wunschkind medial ausgebreitet
Paris Hilton ist Symbol für schillernden Lebensstil, narzisstische Selbstvermarktung und provokante Auftritte, nicht zuletzt durch schlüpfrige Videoaufnahmen. "Wir wussten, dass wir eine Familie gründen wollten, und ich dachte mir: Das ist das perfekte Timing. Normalerweise sitze ich 250 Tage im Jahr im Flugzeug. Nun lass uns einfach alle Eier einlagern und fertig machen, und wir haben tonnenweise davon, die nur darauf warten […] Und wir haben es sieben Mal gemacht. Ich habe nur Jungs. Ich habe 20 Jungs." Nachdem per Leihmutterschaft schon am 25. Januar 2023 ein Sohn auf die Welt kam, Phoenix Barron, sagte die frischgebackene Mutter: "Wir sind so aufgeregt, unsere Familie gemeinsam zu gründen und unsere Herzen explodieren vor Liebe für unseren kleinen Jungen." Da aber auch noch ein Mädchen auf der Wunschliste steht, lässt das Paar weiter Embryonen "herstellen". "Ich habe den Prozess erst vor einem Monat wieder durchlaufen, also warte ich auf die Ergebnisse, um zu sehen, ob es ein Mädchen gibt", gab Hilton am 26. Februar 2023 offen zu.
Leihmutterschaft: Rechtliches hier und anderswo
Eine Leihmutterschaft, wie sie Paris Hilton und ihrem Mann zum eigenen Kind verholfen hat, ist in Deutschland strafbewehrt. Nach dem Embryonenschutzgesetz (§ 1 Missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken) ist es strafbar, eine Eizelle künstlich zu befruchten, um eine Schwangerschaft bei einer Frau herbeizuführen, von der die Eizelle nicht stammt. Andere europäische Länder wie die Niederlande, Dänemark und Großbritannien lassen eine Leihmutterschaft zu, allerdings nicht kommerziell und nur aus altruistischen Gründen. In einigen Bundesstaaten der USA ist die kommerzielle Leihmutterschaft legalisiert und gut etabliert. Agenturen kümmern sich dort zu hohen Preisen um die Vermittlung von ausgesuchten Leihmüttern. Deutsche Paare müssen die Möglichkeiten im Ausland in Anspruch nehmen, etwa in der Ukraine, Südafrika und Indien, wo die kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt ist.
In der Ukraine werden Eltern, deren Embryonen von Leihmüttern ausgetragen werden, in die Geburtsurkunde eingetragen, was jedoch in Deutschland nicht anerkannt wird. Nach deutschem Recht ist die Person die Mutter, die das Kind zur Welt gebracht hat. Die ukrainische Leihmutter bleibt so die Mutter, lediglich der Vater, der den Samen für die künstliche Befruchtung zur Verfügung gestellt hat, kann die Vaterschaft schon vor der Geburt anerkennen lassen. Damit bekommt das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit und kann einreisen. Die Eizellspenderin muss dann anschließend das Kind adoptieren.
Fruchtbarkeitsindustrie in der Ukraine
Das Ausmaß ist einer weiten Öffentlichkeit bekannt geworden, als während des Corona-Lockdowns inzwischen geborene Kinder nicht abgeholt werden konnten und in Einrichtungen "geparkt" wurden, und erneut nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Am 5. Mai 2022 widmete sich das EU-Parlament im Rahmen der Resolution zur "Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf Frauen" der kommerziellen Leihmutterschaft und forderte die Mitgliedstaaten auf, die Ausmaße dieser Industrie, den sozioökonomischen Kontext und die Situation der schwangeren Frauen sowie die Folgen für ihre körperliche und geistige Gesundheit und für das Wohlbefinden der Babys zu untersuchen. Auf die Ukraine entfalle mehr als ein Viertel des weltweiten kommerziellen Leihmutterschaftsmarkts, 2.000 bis 2.500 Babys würden jedes Jahr im Land von Leihmüttern geboren. Durch den Krieg hätten die Leihmütter große Schwierigkeiten, ihre Schwangerschaft unter Bedingungen fortzusetzen, die ihrem Wohlbefinden zuträglich seien, sowie Zugang zu medizinischer Versorgung während der Schwangerschaft, der Entbindung und des Wochenbetts zu erhalten. Leihmutteragenturen hätten die Leihmütter aufgefordert, vor der Geburt nicht aus der Ukraine zu fliehen. Die eigentlichen Eltern hätten aufgrund des Krieges Schwierigkeiten, ihre elterliche Rolle einzunehmen, und staatliche Stellen könnten Vormundschaft und Betreuung dieser Kinder kaum unter angemessenen Bedingungen übernehmen.
Ein noch vor Corona und Krieg geschriebener Roman, "Hundepark" von Sofi Oksanen, zeigt die Machtverhältnisse der Fruchtbarkeitsindustrie im Osten der Ukraine schonungslos auf. Junge strebsame Frauen aus bescheidenen Verhältnissen, denen eine glänzende Perspektive und Verdienstmöglichkeit vorgespielt werden, werden biographisch aufgehübscht und reichen Pärchen vermittelt, um deren Kinderwunsch mit Eizellenspenden zu erfüllen . Die Szenerie bewegt sich zwischen Finnland, der Ukraine und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken an der Schnittstelle zwischen Ost und West, die im Kampf um Geld und Macht auch vor Mord nicht Halt macht und, inzwischen von der Realität weit eingeholt, von der Entwurzelung und Orientierungslosigkeit in der postsowjetischen Welt geprägt ist. Dieses erschütternde Buch lässt für die Zukunft der Menschen dieser Regionen nichts Gutes ahnen.
Deutschland: Legalisierung aus ethischen Gründen abgelehnt
In Deutschland wird die Legalisierung einer Leihmutterschaft aus ethischen Gründen derzeit noch abgelehnt, weil für Leihmütter die durch die vorangehende "Behandlung" und Schwangerschaft gesundheitlichen und psychischen Belastungen nicht zu verantworten seien. Für die Interessen des entstehenden Kindes, für Aspekte der intrauterinen und postnatalen Prägung, Bindung und Beziehung werden dabei keine Stimmen erhoben, wenn auch in Deutschland eine Legalisierung der nichtkommerziellen Leihmutterschaft zur Diskussion steht. Seit geraumer Zeit fordern vor allem "liberale" Stimmen neben der Legalisierung der Eizell- und Embryonenspende auch die Schaffung eines klaren Rechtsrahmens zur Legalisierung der nichtkommerziellen Leihmutterschaft. "Die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin sollen allen Menschen unabhängig vom Familienstand und der sexuellen Orientierung zugänglich sein", heißt es seitens der FDP. Bei pro familia als in Deutschland führendem Fachverband für Sexualberatung, Sexualpädagogik und Familienplanung setzt man sich ebenfalls mit diesem Thema auseinander, ohne sich bislang abschließend positioniert zu haben. "Im Verband wird derzeit diskutiert, ob es Kriterien gibt, nach denen Leihmutterschaft in Deutschland rechtebasiert für alle Beteiligten ausgestaltet werden kann und wie diese aussehen könnten", hieß es auf eine Anfrage von FOCUS online .
Phantasie der jeden Wunsch erfüllenden Medizin
Eine andere Leihmutter-Anekdote, die durch die sozialen Medien geht, ist folgende: Eine 68-jährige spanische Schauspielerin, Ana Obregón, hat mit dem Sperma ihres vor 3 Jahren verstorbenen Sohnes und einer amerikanischen Leihmutter ein Kind bekommen. Der geschiedene Vater enthält sich eines Kommentars. Weitere Kinder könnten in der Planung sein, ihr Sohn wollte immer 5 Kinder haben. Auf Instagram folgen Ana Obregón mehr als eine Million Menschen und wurden von ihr mit der Nachricht überrascht: Ana Obregón postet das Titelblatt der spanischen Klatschzeitung "Hola": Sie ist darauf abgebildet, wie sie mit einem Neugeborenen auf dem Arm in einem Rollstuhl aus einem Krankenhaus gefahren wird. Eine amerikanische Leihmutter habe das Kind ausgetragen. Auch diese in sozialen Medien verbreitete Phantasie wird ihre Früchte tragen, die Phantasie der jeden Wunsch erfüllenden Medizin.
Und eine letzte Nachricht aus dem Geschäft mit der Reproduktionsmedizin: Ein Gericht in den Niederlanden musste einem Mann weitere Samenspenden untersagen. Der Mann habe mindestens 550 Kinder gezeugt, die nichts von ihren Halbgeschwistern wissen. Die Richterin gab damit einer gemeinsamen Klage der Stiftung "Spenderkind" und einer betroffenen Mutter Recht. Da Kinderwunschzentren keine derart vertraulichen Daten weitergeben, konnte lange Zeit niemand wissen, dass der Angeklagte der genetische Vater von so vielen Mädchen und Jungen ist. "Die Folgen für die Identität und die Frage, wie verhält man sich zu den Halbgeschwistern, aber auch die erhöhte Inzestgefahr, das alles wiegt schwer – schwerer als die Interessen des Mannes, Samen spenden zu wollen", so das Gericht. In Laboren gelagertes, eingefrorenes Sperma müsse der Angeklagte umgehend vernichten lassen. Ein Zwangsgeld von 10.000 Euro wurde auferlegt, damit der Mann sich an dieses Urteil hält.
»Bei der wunscherfüllenden Medizin geht es um die Wünsche der zukünftigen Eltern, nicht um die der resultierenden Kinder.«
Fragen zur Allmacht der Reproduktionsmedizin
Die Frage ist, inwieweit man im Rahmen einer wunscherfüllenden Medizin die reproduktive Selbstbestimmung von Wunscheltern bewerten soll. Heute scheint alles machbar, erfüllbar, bis hin zur Uterustransplanatation gehen manche Wünsche, die Fortpflanzung nicht mehr biologischen Vorgaben zu unterstellen. Dabei geht es um die Wünsche der zukünftigen Eltern, nicht um die der resultierenden Kinder.
Aus perinatalpsychologischer Sicht ist es eine Katastrophe, in einem fremden Körper, der keinerlei Beziehung zu dem werdenden Wesen entwickeln soll, ein Kind heranwachsen zu lassen. Es ist kein mechanischer Vorgang wie das Bebrüten von einem Ei in einem Brutschrank, sondern ein im wahren Wortsinn inniger Prozess, der sich vorgeburtlich vollzieht und nicht auf einen lediglich vegetativen Vorgang reduziert werden kann. Das Neugeborene besteht nicht nur aus genetischem Material, sondern lebt von vielfältigen Erfahrungen, die es schon intrauterin gemacht hat. Dazu kommen der Geburtsvorgang und die unmittelbare Kontaktaufnahme, das Bonding nach der Geburt. Im Falle einer Leihmutterschaft ist es weder gewünscht, dass eine Kontaktaufnahme der austragenden Mutter zu dem Kind erfolgt, noch, dass es von dieser gestillt wird. Damit werden dem Kind wichtige Erfahrungen genommen, die nicht kompensiert werden können.
Für die später das Kind betreuende Pädiaterin oder den Pädiater kommt die Schwierigkeit dazu, dass sie in der Regel überhaupt nicht davon erfahren, unter welchen Umständen ein Kind gezeugt und ausgetragen wird. In der Überarbeitung des Gelben Heftes sind aus Datenschutzgründen anamnestische Schwangerschaftsdaten gar nicht mehr aufgeführt. Das Zustandekommen der Schwangerschaft wird weder thematisiert noch spontan berichtet: zum einen, weil es in der Regel die weiterbetreuenden Pädiater oder Pädiaterinnen nicht interessiert, sie vermeintlich nichts angeht und reproduktionsmedizinische Maßnahmen schambesetzt sind. Lediglich bei Früh- und Mehrlingsgeburten erfahren wir gelegentlich aus den Arztbriefen der neonatologischen Intensivstationen, dass es sich um ICSI-Schwangerschaften oder andere induzierte Konzeptionen handelt. Auch bei gleichgeschlechtlichen Ehepaaren verbietet sich die Frage nach dem genauen Zustandekommen des Kindes. Es ist zu befürchten, dass ein solches "Familiengeheimnis" auch dem Kind später verborgen bleibt und damit einen unauflösbaren Schatten über seine Existenz wirft.
»Die Fragen hinter der Euphorie über die Allmacht der Reproduktionsmedizin sollten in die Öffentlichkeit gebracht und thematisiert werden.«
Diese wenigen genannten Fragen bleiben bei der Euphorie über die Allmacht der Reproduktionsmedizin nicht nur in der Öffentlichkeit ausgeblendet. Sie sollten von berufener Seite, und dazu gehören die Perinatalpsychologen, Bindungsforscher, aber auch die ganz normalen Kinderärztinnen und -ärzte, die sich um die psychische Gesundheit der ihren anvertrauten Kinder sorgen, in die Öffentlichkeit gebracht und thematisiert werden.
Dr. Stephan Heinrich Nolte
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (6) Seite 386-388