Die Anaphylaxie ist eine plötzlich auftretende, schwere, möglicherweise lebensbedrohliche systemische allergische Reaktion, die sofortiges Handeln erforderlich macht. Wie sieht die Diagnostik aus, wie die akute Behandlung? Und wie lässt sich die Anaphylaxie langfristig managen?
Die betroffenen Kinder und Jugendlichen können in jedem Stadium der akuten Reaktion in der Praxis vorstellig werden. Nach einer Injektion im Rahmen einer spezifischen Immuntherapie kann es ebenfalls zu allergischen Zwischenfällen bis hin zum allergischen Schock kommen. Da die Dynamik selbst bei einem Schweregrad I, also bei reinen Hautreaktionen, unabsehbar ist, muss umgehend eine folgerichtige Therapie erfolgen. Ein durch vorherige Übung gut vorbereitetes, rasches Handeln ist daher erforderlich.
Die vorliegende Fortbildung richtet sich an alle Kinder- und Jugendärzte, die in pädiatrischen Praxen und Ambulanzen tätig sind. Sie soll einen Überblick über Grundlagen, Diagnostik, akute Behandlung und langfristiges Management der Anaphylaxie geben.
Epidemiologie
Die Prävalenz der Anaphylaxie liegt bei Kindern und Jugendlichen bei 1 – 2 %. Insgesamt sind Kinder und Jugendliche weltweit immer häufiger von einer Anaphylaxie betroffen. Vor allem die Rate an nahrungsmittelbezogenen Reaktionen ist gestiegen. Eine ansteigende Zahl an Hospitalisierungen aufgrund einer anaphylaktischen Reaktion ließ sich ebenfalls verzeichnen. Mittlerweile sind 0,26 % der Krankenhauseinweisungen auf eine Anaphylaxie zurückzuführen [1 – 3]. Die gute Nachricht ist, dass trotz dieser steigenden Zahlen die Mortalität nicht zugenommen hat, sie ist in manchen Regionen sogar gesunken [2, 3]. Geschätzt kommt es zu 1 – 3 Todesfällen pro einer Million Einwohner [2]. Laut europäischem Anaphylaxie-Register wurden von 2007 bis 2019 9 Todesfälle von Kindern gemeldet, von denen 8 durch Nahrungsmittel ausgelöst wurden [3].
Pathophysiologie
Die Immunglobulin-E(IgE)-vermittelte, mastzellabhängige Typ-I-Sofortreaktion ist beim Menschen der häufigste zugrundeliegende Mechanismus. Nach einer Initialen Sensibilisierung kommt es nach einer weiteren Exposition zu einer Komplexbildung aus dem spezifischen IgE und Allergen. Durch Bindung des Komplexes an Mastzellen und basophile Granulozyten wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt, welche letztendlich eine Vielzahl von Mediatoren freisetzt. Dies geschieht zum einen durch rasche Degranulation bereits gespeicherter Botenstoffe und zum anderen durch Induktion der Neubildung. Freigesetzt werden unter anderem Histamin, Cytokine, Tryptase, Leukotriene, Prostaglandine, Proteasen, Serotonin und plättchenaktivierender Faktor. Diese Mediatoren bewirken im Rahmen der Sofortreaktion innerhalb von 5 bis 60 Minuten an den Kapillaren der Endorgane eine Vasodilatation und Permeabilitätsstörung und dadurch die typischen Symptome einer Anaphylaxie. Durch zeitverzögerte Rekrutierung und Aktivierung weiterer Entzündungszellen, wie eosinophilen Granulozyten, kann es nach Abklingen der initialen Symptome in bis zu 20 % der Fälle nach 6 – 24 Stunden zu einer Spätreaktion kommen (biphasischer Verlauf). Eine Spätreaktion kann dabei auch ohne vorherige Sofortreaktion auftreten. Selten, zum Beispiel bei einer Allergie auf "rotes Fleisch" (Galaktose-α-1-3-Galaktose), kann es zu primär um Stunden verzögerten anaphylaktischen Reaktionen kommen [4 – 6].
Auslöser
Hauptauslöser einer anaphylaktischen Reaktion sind im Kindesalter Nahrungsmittel [7]. Neueste Daten aus dem europäischen Anaphylaxieregister zeigen, dass Erdnuss, Kuhmilch, Cashew, Hühnereiweiß und Haselnuss im Kindesalter 65 % der durch Nahrungsmittel verursachten Anaphylaxien herbeiführen [8]. Das Allergenprofil unterliegt altersabhängigen Veränderungen. In den ersten 2 Lebensjahren spielen Kuhmilch und Hühnereiweiß die größte Rolle. Im Vorschulalter tritt in der Regel eine Toleranzentwicklung gegen Kuhmilch, Hühnereiweiß (und auch Weizen) ein, sodass diese Allergene an Bedeutung verlieren. Jenseits des zweiten Lebensjahres ist Erdnuss in allen Altersgruppen der häufigste Auslöser für nahrungsmittelbedingte anaphylaktische Reaktionen. Schalenfrüchten wie Haselnuss und Cashew spielen in dieser Altersgruppe ebenfalls eine große Rolle. Erdnuss und Schalenfrüchte werden zum Teil erst im Vorschulalter konsumiert, sodass die Allergie erst hier auffällt. Seltenere Allergene stellen Hülsenfrüchte (vor allem Soja), Fisch oder Sesam dar. Obwohl auch Anaphylaxien durch Hymenopterengifte und Medikamente auftreten, spielen diese im Vergleich zu Nahrungsmitteln eine geringere Rolle [7, 9 – 11] Mit zunehmendem Alter gewinnen Insektengifte und Medikamente an Bedeutung, bis sie im Erwachsenenalter die Hauptauslöser darstellen [9]. Eine Zusammenstellung der häufigsten Anaphylaxie-Auslöser im Kindesalter findet sich in Tabelle 1.
Tab. 1: Die häufigsten Auslöser der Anaphylaxie im Kindesalter (mod. nach [8, 20, 21])
Symptome und Stadieneinteilung
Bei Kindern stehen Haut- und Schleimhauterscheinungen sowie respiratorische Symptome im Vordergrund. Bei Erwachsenen ist eher das Herz-Kreislauf-System betroffen [12]. Milde orale Symptome mit perioraler Rötung und eine Beteiligung des gastrointestinalen Systems in Form von Erbrechen können bei Kindern die alleinigen Symptome einer nahrungsmittelinduzierten Anaphylaxie sein. Weitere typische Symptome sind Flush, Urtikaria, Juckreiz, Schleimhautschwellungen im Pharynx mit Stridor sowie ein Bronchospasmus mit Giemen und Atemnot [5].
Prodromalsymptome umfassen ein Brennen oder Jucken der Hände oder Füße, Unwohlsein, Kopfschmerzen oder das Gefühl von "drohendem Unheil". Gerade kleine Kinder können dies nicht gut artikulieren und fallen eher durch Verhaltensänderung auf: Sie werden zum Teil sehr ruhig und ziehen sich zurück. Das Gegenteil kann jedoch ebenso der Fall sein: die Kinder können ängstlich, unruhig, gar aggressiv erscheinen [6].
Der Verlauf und die Dynamik einer anaphylaktischen Reaktion sind nicht vorhersehbar. Die Symptome an sich sind unspezifisch und können in unterschiedlicher Reihenfolge nacheinander oder zeitgleich auftreten. Die richtige Zuordnung kann daher schwerfallen. Die typische Hautreaktion bleibt bei rund 10 % der Kinder aus, hier ist es dann umso schwieriger, die übrige Klinik, z. B. eine alleinige Obstruktion der Atemwege, richtig zu interpretieren [12].
Die Schweregradeinteilung erfolgt in Deutschland nach Ring und Messmer (siehe Tab. 2). Bei keinem Schweregrad ist ein bestimmtes Symptom obligat, für die Einteilung zählt letztendlich das klinisch führende Symptom [6].
Augmentationsfaktoren und Komorbiditäten
Bestimmte Faktoren steigern das Risiko einer schweren anaphylaktischen Reaktion. Infektionen an sich und die oft damit einhergehende Einnahme von NSAR (fördern Leukotrienbildung) sowie körperliche Belastung spielen als Augmentationsfaktoren eine Rolle. Im jugendlichen Alter kommen Stress und Alkohol dazu. Auch die Art und Menge des Allergens und die Höhe des IgE nehmen Einfluss auf das Geschehen [6]. Für alle Altersgruppen existieren atopische Erkrankungen als häufige Komorbiditäten, wobei ein unkontrolliertes Asthma bronchiale mit dem erhöhten Risiko einer schweren Anaphylaxie assoziiert ist. Ein bei Kindern seltener Risikofaktor einer schweren Reaktion ist die Mastozytose [3]. Laut deutschem Anaphylaxie-Register spielen Kofaktoren in 29 % der Fälle eine Rolle [7].
Vorbereitung der Notfallversorgung
Bei einer anaphylaktischen Reaktion muss die Notfalltherapie zeitnah und symptomgerecht erfolgen. Dazu sollten das medizinische Assistenzpersonal, aber natürlich auch die in der Praxis tätigen Ärzte regelmäßig üben, allergologische Notfälle zu erkennen und zu behandeln.
Klar abgesprochen sein sollte:
- Wo ist die Notfallausrüstung gelagert?
- Wie ist der genaue Ablauf im Notfall?
- Wer ist für was zuständig? (Arzt informieren, Patient mitversorgen, Notruf absetzen)
- In welchem Raum findet die Versorgung von Patienten statt?
Des Weiteren sollte geübt werden, Sauerstoff zu geben, Medikamente aufzuziehen, richtig zu lagern und die Atem- und Kreislauffunktion zu erfassen. Ein gut verständlicher Notfallplan sowie eine Dosierungshilfe der Notfallmedikamente sollte ebenfalls mit bei der entsprechenden Ausrüstung gelagert werden. Ein für das Personal gut zugänglicher Liegeplatz, der genügend Platz und Schutz der Privatsphäre bietet, sollte bestimmt werden. Welche Notfallausrüstung laut S2k-Leitlinie in einer Praxis vorgehalten werden sollte, ist in Tabelle 3 nachzulesen. Ein EKG-Blutdruck-Monitor wäre wünschenswert, ist aber nicht in jeder Praxis vorhanden [6].
Therapie
Es ist sinnvoll, nach der bekannten ABCDE-Regel die Vitalparameter rasch zu erfassen und – wenn möglich – beim Patienten bzw. dessen begleitender Betreuungsperson eine kurze Anamnese zu Auslöser, Verlauf der Beschwerden und bekannten Allergien zu erheben. Aufbauend auf dieser Bewertung wird das vital bedrohlichste Symptom der Anaphylaxie zuerst therapeutisch angegangen. Die Lagerung erfolgt symptomorientiert, das heißt, bei Atemnot eher (halb-)sitzend, bei Kreislaufbeschwerden eher liegend und ggf. mit erhöht gelagerten Beinen (Trendelenburg-Lagerung) [6].
Eine Anaphylaxie ist aufgrund des unvorhersehbaren Verlaufs immer eine potenziell lebensbedrohliche Situation. Eine schwere anaphylaktische Reaktion liegt vor, wenn die Atemwege, das kardiovaskuläre System oder 2 beliebige Organsysteme betroffen sind, zum Beispiel Haut und gastrointestinales System in Form von Quaddeln und Erbrechen.
Die intramuskuläre Gabe von Adrenalin ist bei einer schweren anaphylaktischen Reaktion die Therapie der ersten Wahl!
Durch Mastzellstabilisation, Vasokonstriktion, Erniedrigung der Gefäßpermeabilität, Bronchodilatation und positive Inotropie am Herzen werden alle wesentlichen Pathomechanismen der Anaphylaxie antagonisiert. Innerhalb von 5 bis 10 Minuten wird der Kreislauf stabilisiert, die Atmung erleichtert und Schwellungen klingen ab. Die Gabe dient dabei auch nicht nur der Abwendung lebensbedrohlicher Verläufe, sondern auch der erheblichen Abkürzung der Symptomdauer.
Zur Gabe von Adrenalin stehen Adrenalin-Autoinjektoren (AAI) zur Verfügung, welche sich durch ihre einfache Handhabbarkeit im klinischen wie ambulanten Setting und vor allem in der Ersthilfe durch medizinische Laien bewährt haben [6]. Das Adrenalin wird in die Außenseite des Oberschenkels verabreicht. Bei fehlendem Wirkeintritt kann die Gabe alle 5 – 10 Minuten wiederholt werden. Ist kein AAI vorhanden, wird Adrenalin-Lösung 1:1000 in Ampullen, unverdünnt mit einer Dosis von 10 μg/kgKG = 0,01 ml/kgKG intramuskulär gegeben. Wiegt das Kind weniger als 7,5 kg, ist ein AAI also nicht zugelassen, wird Adrenalin 1:1000 in Form von Ampullen sowie das entsprechende Material rezeptiert. Die Eltern müssen in dem Fall im Aufziehen und richtiger intramuskulärer Verabreichung geschult werden [6].
Für das Notfallset (siehe Kasten "Das Notfallset"), welches die Patienten stets bei sich tragen sollen, können verschiedene AAI rezeptiert werden (siehe Tab. 4). Auf dem Rezept muss "aut idem" angekreuzt werden, sodass der Patient sicher den AAI erhält, mit dem geschult wurde. Wichtig ist, den Patienten in der Anwendung des AAIs zu instruieren und einen Trainer-Pen mitzugeben, sodass regelmäßig geübt und alle wichtigen Betreuungspersonen geschult werden können. Die Trainer-Pens können in der Regel kostenfrei beim Hersteller bestellt werden. Alternativ bieten viele Apotheken Trainer-Pens kostenlos für Betroffene an. Zu jedem AAI finden sich Trainingsvideos im Internet (Hinweise auf entsprechende Webseiten in Tab. 4).
In einigen Fällen ist die Verordnung eines zweiten AAIs sinnvoll, zum Beispiel bei vorangegangener sehr schwerer Anaphylaxie, Adipositas, unkontrolliertem Asthma bronchiale, Reisen in eine Region ohne flächendeckende medizinische Versorgung oder wenn es organisatorisch Sinn macht (Kita, Schule oder familiäre Situation) [6].
Bei laryngealer oder subglottischer Schwellung werden 2 – 5 ml unverdünntes Adrenalin 1:1000 über einen Vernebler mit Sauerstoff über eine Atemmaske/ein Mundstück verabreicht. Die inhalative Applikation ist dabei stets additiv und kann die parenterale Gabe nicht ersetzen [6].
Liegt eine bronchiale Obstruktion vor, wird zusätzlich mit Beta-2-Adrenozeptoragonisten, wie Salbutamol, inhaliert. Im Notfall ist die notwendige Koordination zur effektiven Inhalation eines Dosieraerosols in allen Altersgruppen schwer aufzubringen. Daher soll das Dosieraerosol via Inhalationshilfe (Spacer) mit 2 – 4 Hüben inhaliert oder Salbutamol als kontinuierliche Feuchtvernebelung verabreicht werden, um eine therapeutisch wirksame Deposition zu erreichen. Bei Bedarf wird die Inhalation nach 10 – 20 Minuten wiederholt [6].
Sauerstoff wird bei kardiovaskulären oder pulmonalen Reaktionen appliziert. Die Gabe von 100 % Sauerstoff mit hohem Fluss über eine Atemmaske mit Reservoir-Beutel ist empfohlen [6].
Bei einer durch die Vasodilatation und Kapillar-Leckage verursachten relativen Hypovolämie ist ergänzend kristalloides Volumen via großlumigem intravenösem oder intraossärem Zugang in Form von balancierter Vollelektrolytlösung zu geben. Bei Kindern erfolgt initial die rasche Gabe von 20 ml/kgKG aus der Hand. Weitere Bolusgaben von jeweils 20 ml/kgKG sollten bis zur hämodynamischen Stabilisierung erfolgen [6].
Histamin spielt als Mediator in der anaphylaktischen Reaktion eine entscheidende Rolle. Antihistaminika (Tab. 5) und Kortisonpräparate (Tab. 6) sind aber keine Notfallmedikamente, da ihre Wirkung erst nach bis zu 30 Minuten bzw. einer Stunde eintritt. Sie sollten erst gegeben werden, wenn die lebensrettenden Sofortmaßnahmen (intramuskuläres Adrenalin, Volumen, Sauerstoff, Inhalation) durchgeführt und die Vitalparameter stabilisiert sind [6]. Und doch werden sie zu oft als alleinige Medikation im Falle einer schweren Anaphylaxie verabreicht. Daten des europäischen Anaphylaxie-Registers zeigen, dass weit unter den angestrebten 100 % der Patienten mit schwerer Anaphylaxie überhaupt Adrenalin erhalten [3].
Die Beobachtung der Autoren dieser Fortbildung ist, dass viele Kollegen Angst vor dem Adrenalin-Autoinjektor (AAI) haben. Diese Angst ist unbegründet, denn gewichtsadaptiert, intramuskulär verabreichtes Adrenalin hat ein überaus günstiges, geringes Nebenwirkungsprofil [6].
Kommt es isoliert zu Symptomen der Haut oder des Gastrointestinaltraktes, liegt zunächst nur eine leichte allergische Reaktion vor. In diesem Fall kann nur ein Antihistaminikum zusammen mit einem Kortikosteroid verabreicht werden. Allerdings muss das Kind weiterhin beobachtet und im Falle einer Progression der anaphylaktischen Reaktion (2 Organsysteme, Beteiligung der Atemwege oder des Herz-Kreislauf-Systems) unbedingt noch Adrenalin intramuskulär gegeben werden [6, 13].
Infos und Tipps zum Notfallset sind im Kasten "Das Notfallset" zusammengestellt.
- muss bei Erstdiagnose ausgestellt werden
- enthält den Anaphylaxie-Pass (Abb. 1), einen Adrenalinautoinjektor (AAI), ein Kortikosteroid und Antihistaminikum in altersgerechter Formulierung, bei Atemwegsbeteiligung oder Asthma auch Salbutamol-Dosieraerosol (mit Inhalationshilfe!)
- Nur der Anaphylaxie-Pass und die dort benannten Medikamente sind enthalten.
- Medikamente mit der Dosis beschriften, Verstauung ohne Papp-Umverpackung oder Beipackzettel.
- Einen Teelöffel für Tropfen oder Säfte beilegen sowie Einmalhandschuhe, falls bei Kleinkindern ein Zäpfchen rezeptiert wird.
- Zäpfchen nur so lang rezeptieren, wie das Kind eine Windel trägt.
- Der Trainerpen darf nicht im Notfallset aufbewahrt werden (Verwechslungsgefahr mit dem AAI)!
- Lagerung bis 25 °C Zimmertemperatur; im Sommer Transport des AAI in einer Kühltasche empfohlen.
- Das Notfallset darf nicht in Kita oder Schule "aus Sicherheitsgründen" eingeschlossen werden.
- Notfallset von außen deutlich kennzeichnen, z. B. durch Beschriftung und Signalfarbe.
Diagnostik
Zunächst ist eine ausführliche Anamnese zu dem vermuteten Auslöser (Nahrungsmittel, Insekt, Medikament), dem zeitlichen Ablauf und der Schwere der Reaktion und Augmentationsfaktoren durchzuführen. Mögliche Komorbiditäten aus dem atopischen Formenkreis sollten auch erfasst werden. Hierdurch soll ein erster Eindruck gewonnen werden, ob es sich um eine primäre Nahrungsmittelallergie oder eher ein orales Allergiesyndrom (OAS) bei pollenassoziierter Nahrungsmittelallergie handelt.
Differenzialdiagnostisch ist auch an einen Asthmaanfall, eine infektassoziierte Urtikaria, eine vasovagale Synkope, eine Panikattacke oder seltener ein hereditäres Angioödem oder eine Mastozytose zu denken [6].
Ziel der Diagnostik ist es nun, die IgE-vermittelte Reaktion nachzuweisen, üblicherweise durch Bestimmung spezifischer IgEs im Serum oder durch einen Haut-Prick-Test [14]. Die Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper sollte nur bei konkretem Verdacht auf eine allergische Reaktion gegen bestimmte Nahrungsmittel erfolgen. Laut KIGGS-Daten sind 20 % der deutschen Kinder gegen irgendein Nahrungsmittel sensibilisiert, aber nur bei 4,2 % wurde in einer oralen Provokationstestung eine Nahrungsmittelallergie bestätigt. Bei den übrigen handelt es sich lediglich um eine Sensibilisierung ohne klinische Relevanz. Ein ungezielter "Schrotschuss" in die rekombinanten Allergene führt eher zu unnötigen Meidungsempfehlungen. Diese führen zwar in der Regel nicht zu Mangelernährung, aber nicht selten zu unterschätzten Einschränkungen der Lebensqualität der Familie. Wurde ein Lebensmittel bereits mehrfach symptomlos verzehrt, erübrigt sich ebenfalls die Bestimmung des spezifischen IgEs [14].
Um die klinische Relevanz der allergischen Sensibilisierung besser einschätzen zu können, ist es sinnvoll, nicht nur das IgE des Gesamtextrakts eines Allergens zu bestimmen, sondern auch einzelne Proteine, also Komponenten (komponentenbasierte Allergiediagnostik). Dadurch kann wiederum besser zwischen einer primären Nahrungsmittelallergie und einem sekundären, pollenvermittelten OAS differenziert werden. Zum Beispiel wäre bei Erdnuss das Speicherprotein Ara h2 relevant, dessen Erhöhung auf eine potenziell gefährliche primäre Allergie hinweist. Im Gegensatz dazu weist eine alleinige Erhöhung von Ara h8 auf eine Kreuzallergie mit Birke hin und erfordert keine strikte Meidungsempfehlung. Die Komponentendiagnostik ist also entscheidend für eine fundierte Ernährungsberatung, den Entscheid über eine Meidungsempfehlung und die Verschreibung eines AAI [14].
Etwa 15 – 120 Minuten nach einer anaphylaktischen Reaktion erreicht die Mastzell-Tryptase den Maximalspiegel im Serum. Die Bestimmung der Tryptase dient der differenzialdiagnostischen Abgrenzung einer Anaphylaxie (Differenzialdiagnose Panikattacke, Hyperventilation) und gibt Hinweise auf das Ausmaß der Mastzelldegranulation. Die basale Tryptase ist bei einer Mastozytose erhöht. Liegt bei einer Messung im Intervall ein Wert im Referenzbereich vor, kann eine Mastozytose ausgeschlossen werden [15].
Die Nahrungsmittelprovokation ist der Goldstandard in der Diagnostik. Indikationen sind zum Beispiel eine Sensibilisierung mit unklarer klinischer Relevanz, eine Soforttyp-Reaktion mit unklarem Auslöser oder das Feststellen einer mittlerweile eingetretenen Toleranz [16].
Abbildung 2 zeigt die diagnostischen Schritte bei Anaphylaxie und das Langzeitmanagement.
Prävention
Die beste Vorsorge einer anaphylaktischen Reaktion ist die Meidung des bekannten Allergens. Bezüglich Nahrungsmittelallergien ist daher eine ausführliche Ernährungsberatung empfohlen. Die Patienten bzw. ihre Eltern werden hier zum Beispiel über Allergenkennzeichnung auf Lebensmitteln, Umgang mit loser Ware (versteckte Allergene) und Ersatzprodukte aufgeklärt. Haben Kinder mehrere Allergien, dient die Ernährungsberatung auch der Sicherstellung einer ausgewogenen Diät, um Mangelernährung zu vermeiden.
Für Erdnussallergiker ist seit Dezember 2020 in Europa eine orale Hyposensibilisierungsbehandlung (Palforzia®) für Kinder zwischen 4 und 17 Jahren zugelassen. Nach erfolgreicher Behandlung steigt der Schwellenwert der auslösenden Erdnussdosis deutlich an. Zudem reduziert sich bei vielen Patienten die Angst vor einer anaphylaktischen Reaktion aufgrund versehentlich konsumierter Erdnuss, sodass auch ein Anstieg der allergiebezogen Lebensqualität berichtet werden konnte [17].
Liegt eine Hymenopteren-Allergie vor, ist bei Symptomen, die über die kutane Reaktion hinausgehen, eine subkutane Immuntherapie (SIT) empfohlen, die nach erfolgreichem Abschluss bei mehr als 95 % der behandelten Kinder einen Schutz vor einer erneuten Anaphylaxie erreicht. Nach Abschluss der Behandlung ist das Notfallset nicht mehr erforderlich [18].
Schulung
Die betroffenen Kinder und Jugendlichen und deren Eltern sehen sich nach einer anaphylaktischen Reaktion mit Angst, Unsicherheit und Sorge konfrontiert. Die Bewältigung des Alltags mit der Allergie und möglichen Notfallsituationen erfordert gezielte Kenntnisse und praktische Handlungsstrategien. Die "Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e. V." (AGATE) bietet strukturierte Schulungsprogramme, die im multidisziplinären Team altersgruppenbezogene Schulungen durchführen. Die standardisierten und evaluierten Schulungsprogramme sind deutschlandweit verfügbar und richten sich an Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrer/Erzieher. Durch die Teilnahme können Betroffene und ihre Familien ihre Handlungsfähigkeit stärken, Ängste abbauen und ihre Lebensqualität verbessern [19].
Bei der Diagnosestellung einer Anaphylaxie ist es wichtig, den Betroffenen zeitnah präzise Instruktionen zu ausschließlich handlungsrelevanten Inhalten, und zwar zur Anwendung des Notfallsets, zu vermitteln. Eine Schulung ist jedoch so nicht ersetzbar. Daher soll bei der Erstverordnung des AAI unbedingt über die Möglichkeit einer Anaphylaxie-Schulung nach dem AGATE-Konzept informiert werden [19].
- www.anaphylaxieschulung.de Hier findet sich eine Liste zertifizierter Schulungszentren in Deutschland.
- www.anaphylaxie-experten.de Hier können Schulungsvideos und Erfahrungsberichte angesehen werden.
- https://www.gpau.de/eltern-kinderinfos/ "Gesellschaft für pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin": Hier gibt es Eltern- und Kinderinformationen zum Download. Gedruckte Exemplare des Anaphylaxie-Passes und Notfallpläne im A-4-Format können durch medizinisches Fachpersonal per E-Mail bei der Geschäftsstelle bestellt werden.
- www.daab.de "Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V.": Hier können viele anschauliche Informationen bezogen werden. Abonniert man den DAAB-Newsletter, erhält man z. B. auch Informationen über Rückrufe, fehlerhafte (Lebensmittel-)Deklarationen oder Spureneinträge.(Liste zusammengetragen nach [22])
- Im Kindesalter sind die Allergene Erdnuss, Kuhmilch, Cashew, Hühnereiweiß und Haselnuss die Hauptauslöser einer anaphylaktischen Reaktion. In den ersten beiden Lebensjahren überwiegen Kuhmilch und Hühnerei.
- Der Verlauf und die Dynamik einer anaphylaktischen Reaktion sind nicht vorhersehbar. Es kann akut, aber auch um Stunden verzögert zu einer lebensbedrohlichen Reaktion kommen. Symptome manifestieren sich an Haut, Schleimhaut, Gastrointestinaltrakt, Atemwegen und Herz-Kreislauf-System.
- Die schnelle und folgerichtige Behandlung ist von größter Bedeutung, um das Fortschreiten der anaphylaktischen Reaktion zu stoppen. Die intramuskuläre Gabe von Adrenalin ist bei einer schweren Anaphylaxie die Therapie der ersten Wahl. Bei einer anaphylaktischen Reaktion soll der Notarzt hinzugezogen werden.
- Zu einer zielgerichteten Diagnostik gehören eine ausführliche Anamnese und die Bestimmung spezifischer IgEs einschließlich Komponentendiagnostik.
- Das Notfallset wird bei Erstdiagnose ausgestellt und enthält den Anaphylaxie-Pass, einen Adrenalinautoinjektor (AAI), ein Kortikosteroid und Antihistaminikum in altersgerechter Formulierung, bei Atemwegsbeteiligung oder Asthma auch Salbutamol Dosieraerosol (mit Inhalationshilfe!).
- Zum Management der Anaphylaxie gehört: das Meiden des Allergens, eine Ernährungsberatung (bei Nahrungsmittelallergie), eine Schulung nach AGATE-Konzept der Betroffenen und Betreuungspersonen sowie – wenn indiziert und möglich – eine allergenspezifische Immuntherapie.
|
|
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2024; 95 (4) Seite 265-274