Sophie Seemann (2020) Verschwundene Krankheiten. 2. Auflage, Klappenbroschur, 272 Seiten, 29 Abbildungen. Kulturverlag Kadmos Berlin, ISBN 978-3-86599-451-6; 26,80 Euro

Sophie Seemann (geb. 1986), Kinder- und Jugendärztin aus Berlin, legt ein sehr lesenswertes medizinhistorisches Buch über „verschwundene“ Krankheiten vor. „Gibt es denn überhaupt verschwundene Krankheiten?“, werden Sie sich fragen, und dabei wahrscheinlich an Infektionskrankheiten, wie Cholera, denken, die durch bessere sozioökonomische Umstände und Hygienemaßnahmen verschwunden sind. Möglicherweise schließen Sie auch die Diphtherie, Poliomyelitis und Pocken in Ihre Überlegungen ein – Erkrankungen, die sich durch die Impfprävention wirksam zurückdrängen ließen.

Was aber ist denn die mercurielle Stomatitis? Sie ahnen es schon: Es könnte sich auch um eine Quecksilber-Angina handeln. Stimmt, hierbei liegt eine Schädigung der Mundschleimhaut durch chronische Einwirkung von Quecksilber­dämpfen vor. Arbeitsmedizinische Maßnahmen und produktionstechnische Änderungen haben glücklicherweise zum Rückgang dieser Erkrankung geführt. Andere, „verschwundene“ Krankheiten wie „englischer Schweiß“ oder europäische Schlafkrankheit, Friesel-Fieber oder die Haff-Krankheit werden aufschlussreich beschrieben.

Im Zeitalter der Jodsubstitution dürfte endemischer Kretinismus kaum noch vorkommen. Auch für medizinisch erfahrene Kolleginnen und Kollegen ist eine Abhandlung hierzu lesenswert.

Insgesamt stellt das Buch 20 „verschwundene Krankheiten“ vor. Frau Seemann widmet sich dabei vor allem der Frage, wann, warum und unter welchen Bedingungen diese Erkrankungen verschwunden sind, oder ob es sie möglicherweise gar nicht wirklich gab. Gab es eine Phosphornekrose, Scrofulose oder ­Chlorose dann wirklich? Lesen Sie ­
selbst!

Das Buch ist medizinhistorisch informativ und insbesondere auch unterhaltend. Zugleich lenkt es einen kritisch-differenzierten Blick auf nosologische Einteilungen, die wir häufig selbstverständlich hinnehmen ohne das „Woher und Warum?“ zu betrachten.
Das Buch „Verschwundene Krankheiten“ kann als medizinisch bildende Lektüre ebenso uneingeschränkt empfohlen werden wie als Bereicherung für literarisch Interessierte.



Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (2) Seite 118