Synergieeffekte für das Patientenwohl am Beispiel einer Fütterstörung: Der vorliegende Artikel beschreibt die an einer Berliner Klinik für Kinder- und Jugendmedizin als Pilotprojekt gestartete und inzwischen verstetigte Vernetzung zwischen der ambulanten und stationären sozialpädiatrischen Versorgung anhand einer Krankengeschichte.

Einleitend erfolgt eine kurze Darstellung des Behandlungskonzepts, gefolgt von einer Fallbeschreibung einer zum Zeitpunkt der Aufnahme 1 6/12 Jahre alten Patientin. Diese wurde nach ausbleibendem ambulanten Behandlungserfolg stationär sozialpädiatrisch behandelt. Bei dem Mädchen lagen eine Fütterstörung und eine damit einhergehende mangelnde Gewichtsentwicklung vor. Während der zweiwöchigen intensiven Behandlung nach einem multimodalen Konzept fand eine ausführliche Diagnostik sowie Beratung und Anleitung der Eltern statt.

Stationäre Sozialpädiatrie

Die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. schreibt: "Die Sozialpädiatrischen Zentren sind nach §119 SGB V eine institutionelle Sonderform interdisziplinärer ambulanter Krankenbehandlung. […] Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen, Behinderungen oder entwicklungsbeeinträchtigenden Folgen von chronischen Krankheiten kann ambulant in den SPZ behandelt werden. Für verschiedene besondere Indikationen bestehen auch spezialisierte stationäre Behandlungsmöglichkeiten" [1]. Eine solche stationäre sozialpädiatrische Versorgung wurde vor nunmehr 2 Jahren als Pilotprojekt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Vivantes-Klinikum im Friedrichshain in Berlin begonnen und aufgrund des Erfolges inzwischen verstetigt. Das interdisziplinär angelegte Behandlungskonzept umfasst eine intensive ärztliche, psychologische und logopädische Betreuung. Ergänzend stehen bei Bedarf Physiotherapie und Sozialarbeit sowie eine konsiliarische Betreuung durch Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachdisziplinen (u. a. Neuropädiatrie, Kindergastroenterologie, HNO, Urologie, Still- und Ernährungsberatung) zur Verfügung.

Das stationäre Konzept entwickelte sich aus der ambulanten Arbeit des Sozialpädiatrischen Zentrums im gleichen Haus heraus und richtet sich an Kinder mit Fütter-, Gedeih-, und Regulationsstörungen sowie mit Entwicklungs- und Ausscheidungsstörungen, neurologischen Erkrankungen und Syndromen, Dysphagien, Schmerz- und Somatisierungsstörungen.

Erklärtes Ziel war es, ein leitliniengerechtes, aber auch möglichst individuelles Diagnostik- und Behandlungskonzept zu entwickeln. Die Grundlage dafür ist eine enge Verzahnung des ambulanten mit dem stationären Angebot. Somit gehören Fallbesprechungen – vorab, begleitend zum stationären Aufenthalt sowie nach Beendigung dessen – zwingend zur Behandlung dazu. So können konzeptionelle Überlegungen der SPZ-Kolleginnen und Kollegen, die im Laufe der zum Teil jahrelangen Betreuung der Familien entwickelt wurden, sich ambulant aber nicht zufriedenstellend umsetzen ließen, im stationären Setting unmittelbar in Angriff genommen werden. Die Familien können in den täglichen Routinen betreut werden (beispielsweise Begleitung beim Füttern oder Wickeln, videographierte Dokumentation von Interaktionssituationen), unmittelbar in diesen Situationen erfolgt die Beratung und Intervention. Aufwendige flankierende diagnostische Maßnahmen oder Untersuchungen, die ambulant nicht möglich sind, werden bei Bedarf durchgeführt (z. B. MRT-, Ultraschall-Untersuchungen, Lumbalpunktionen, Laboranalysen). Sich daraus ergebende Maßnahmen können direkt geplant und eingeleitet, Probleme bei der Umsetzung oder Unsicherheiten auf Seiten der Eltern zeitnah besprochen werden. Im Anschluss an den Aufenthalt erfolgt eine direkte Übergabe ins ambulante Setting, um den langfristigen Behandlungserfolg abzusichern.

Ein besonderer Schwerpunkt des beschriebenen stationären sozialpädiatrischen Behandlungskonzepts liegt im Bereich der Fütter- und Gedeihstörungen. Im Folgenden soll daher eine Patientin beschrieben werden, die sowohl durch das SPZ als auch durch das stationäre Team betreut wurde (Abb. 1).

Anamnese bei der Erstvorstellung im SPZ

Die ambulante Erstvorstellung der Patientin im SPZ erfolgte im Alter von 1 1/12 Jahren. Gründe für die Vorstellung waren deutliche Probleme bei der Nahrungsaufnahme. Eine Ernährung war zu diesem Zeitpunkt nur per Stillen möglich, andere Nahrungsmittel schob das Mädchen mit der Zunge aus dem Mund. Innerhalb der Schwangerschafts- und Geburtsanamnese wurde ein auf Seiten des Kindes unauffälliger prä-, peri- und postnataler Verlauf berichtet, Geburtsgewicht 3.510 g (61. Perzentile; vgl. Daten der KiGGS-Studie [2]), Länge 53 cm (78. Perzentile), Kopfumfang 33,5 cm; Apgar 9/10/10, NapH 7,4. Einzig der Stillbeginn war kurzzeitig erschwert, im Verlauf aber problemlos. Auf Seiten der Mutter fanden sich Hinweise auf ca. 4 Wochen dauernde postpartale Anpassungsprobleme an die veränderte Familiensituation (Grübeln, Einschlafprobleme, innere Unruhe). Nach dieser Zeit entwickelte das Mädchen erste leichte Auffälligkeiten in Form von vermehrter Unruhe und häufigerem Weinen. Das durch die Eltern selbst initiierte "Pucken" führte zu einer Entspannung des Kindes, das Einschlafen war jedoch stets nur durch Stillen möglich. Im Bereich der motorischen Entwicklung äußerte das Kind eine deutliche Abneigung gegenüber der Bauchlage, diese wurde daraufhin durch die Eltern vermieden. Der Stützaufbau wurde nicht zeitgerecht erreicht, freies Sitzen wurde erst mit ca. 12 Monaten nach erfolgter Physiotherapie gezeigt. In diesem Rahmen wurde eine Hypersensibilität der Hand- und Fußflächen vermutet. Bezüglich der Ernährungsentwicklung berichten die Eltern, dass ihre Tochter den mit ca. 6 Monaten angebotenen Brei abgelehnt hatte. Beim alternativ versuchten "Baby Led Weaning" zeigte das Mädchen Interesse und Freude am oralen Erkunden, verschluckte sich jedoch häufig, würgte und erbrach sich teilweise. Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung am SPZ hatten bereits eine HNO-Vorstellung, eine osteopathische Behandlung und eine Physiotherapie (Bobath) stattgefunden. Eine Durchtrennung des laut Osteopathin sehr straffen Zungenbändchens war vorab terminiert worden. Die Sprachentwicklung lief hingegen überdurchschnittlich gut, bereits im Alter von 14 Monaten begann das Kind in 2-Wort-Sätzen zu sprechen, zeigte ein sehr gutes Sprachverständnis und teilte sich mittels Gesten auch für Fremde verständlich mit. Die Beziehung des Mädchens zu seinen Eltern war eng und liebevoll, die Eltern-Kind-Interaktion wirkte sicher und routiniert. Auch in der Beziehung zu den Eltern zeigten sich die ausgeprägten sprachlichen Fähigkeiten des Kindes, die Eltern kommunizierten sowohl direkt verbal als auch nonverbal mittels Gesten sehr viel mit ihrer Tochter. Hinsichtlich der sozialen Kompetenzen fiel auf, dass sich das Mädchen den Therapeutinnen und Therapeuten gegenüber eher zögerlich verhielt, im Verlauf mehr Blickkontakt hielt, aber stets den Körperkontakt zur Mutter suchte. Den Beginn von z. B. körperlichen Untersuchungen erkannte das Kind jeweils sehr schnell und zeigte dann deutliche Stresssymptome. Auf dem Arm der Mutter erfolgte jedoch eine rasche Regulation und das Kind verhielt sich wieder freundlich und zugewandt.

Verlauf und stationäre Aufnahme

Im SPZ erfolgten im Anschluss an die interdisziplinäre Diagnostik zunächst ambulante logopädische Beratungen. Währenddessen erweiterte das Kind schrittweise sein Nahrungsrepertoire, die Mengen blieben jedoch extrem klein. Parallel begann die Eingewöhnung in der Kita. Diese konnte das Kind nur stundenweise besuchen, da die dort eingenommenen Nahrungsmengen sehr gering waren und die Mutter daher das Kind mit Muttermilch versorgen wollte. Der Gewichtsverlauf zeigte zwar zunächst eine stetige Zunahme (Tab. 1), nach 10 Wochen Behandlung kam es mit einem Gewicht von 8.370 g (1. P.) jedoch zu einer unzureichenden weiteren Gewichtszunahme. Das Trinken aus der Brust vor allem während der Nacht blieb zentrale Nahrungsquelle, der Mutter fiel die Beendigung des Stillens extrem sehr schwer. Im Alter von 1 5/12 Jahren kam es schließlich zu einer Gewichtsreduktion (Gewicht bei 8.240 g; 1. P.), weshalb im SPZ eine intensivierte Behandlung in Form eines stationären Aufenthaltes empfohlen und eingeleitet wurde. Dieser schloss sich nach wenigen Wochen an und dauerte 14 Tage.

Die stationär vorgenommene umfangreiche apparative, laborchemische, mikrobiologische und klinische Diagnostik erbrachte keinen Hinweis für eine somatische Ursache der Dystrophie. Eine echokardiographische Untersuchung zeigte einen unauffälligen Befund. Allenfalls fiel eine leichtgradige Erniedrigung der alkalischen Phosphatase auf. Diese wurde als Ausdruck der reduzierten Wachstumskapazität gewertet, eine ambulante Kontrolle wurde empfohlen. In der Stillprobe zeigten sich für die Ernährung des Kindes zu geringe Mengen an Kalorien und Flüssigkeit. Trotz des nächtlichen Stillens zeigte die Ernährungsbilanz eine unterkalorische Versorgung.

Innerhalb der stationär stattfindenden psychologischen und logopädischen Behandlungen wurde zunächst mittels Nahrungsprotokollen, videographierten Essensbeobachtungen, anamnestischen Elterngesprächen und dem Einsatz von klinischen Fragebögen versucht, ein erweitertes Verständnis für die vorhandene Störung zu erhalten. Es wurde deutlich, dass bei dem Mädchen vom Restzustand einer sensorischen Überempfindlichkeit im orofazialen Bereich ausgegangen werden musste, die zu einer hohen taktilen, damit einhergehenden orofazialen Empfindlichkeit und einer ausgeprägten Vermeidung geführt hatten. So hielt das durchaus vorhandene Interesse während einer Essenssituation nur kurz an, dann war das Mädchen schnell abgelenkt und nahm somit während einer Mahlzeit nur sehr kleine Nahrungsmengen zu sich. Zusammenfassend fanden sich damit sowohl Elemente einer Regulations-Fütterstörung als auch einer sensorisch bedingten Nahrungsverweigerung [3]. Auf Seiten der Eltern war der Leidensdruck sehr groß, die eingesetzten Fragebögen zeigten erhöhte Werte im Bereich depressiver Verstimmungen. Die durch ihre Tochter eingenommenen Nahrungsmengen waren dominierendes Thema sowohl in der Kern- als auch in der um die Großeltern erweiterten Familie und in der Folge waren teufelskreisartige Verstärkungszyklen entstanden. Innerhalb der Mahlzeiten führte dies zu einem hohen Anspannungserleben, einer unklaren Steuerung des Kindes und einem mutmaßlichen Erleben von Insuffizienz auf beiden Seiten.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen wurde ein multimodales Behandlungskonzept mit verhaltenstherapeutischen, interaktionellen und psychodynamischen Elementen entwickelt, das um Still- und Ernährungsberatung, Psychoedukation und systemische Hilfen ergänzt wurde [4]. Mit dem Ziel, die Patientin besser auf das Essen und auf die Nahrungsaufnahme zu fokussieren, wurde in Anlehnung an Bernard-Bonnin [5] zunächst an der Mahlzeitenstrukturierung gearbeitet (i. e. Einführung fester Essenszeiten, Begrenzung der Mahlzeitendauer, Begrenzung des Stillens am Tag, Begrenzung der Nahrungsauswahl, klare Zeichen für Beginn und Ende einer Mahlzeit). Es wurden feste Spielzeiten eingeplant, die nichts mit dem Thema Essen zu tun haben sollten. Mit dem Ziel einer Gewichtssteigerung wurden höherkalorische Lebensmittel (e. g. Kuchen, Marmelade, Anreicherung der Mahlzeit mit Sahne/Butter) und Nahrungsergänzungsmittel (e. g. Nährstoffkonzentrat in Pulverform, hochkalorische Smoothies und Joghurts) eingeführt. Die diesbezügliche Anpassung der Nahrungsmittel wurde auf die Zeit nach dem stationären Aufenthalt ausgedehnt, die ambulante Betreuung durch eine Ernährungsberatung wurde gebahnt.

In der psychologischen Beratung wurde versucht, die Fixierung auf die eingenommenen Nahrungsmengen zu reduzieren. Als entlastend erlebten die Eltern, dass das geringe Gewicht zum jetzigen Zeitpunkt zu keinen erheblichen Mangelerscheinungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen geführt hatte. Durch motivierende Gesprächsführung wurden versucht, bei den Eltern für die o. g. Veränderungen bei der Mahlzeitengestaltung eine stabile Compliance aufzubauen. Auf Wunsch der Eltern wurde gemeinsam ein Störungsmodell zur Entstehung der Fütterstörung entwickelt. Auf dessen Grundlage konnten im nächsten Schritt Veränderungen in der Eltern-Kind-Interaktion, aber auch in der Gestaltung der Mahlzeiten und des Alltags abgeleitet werden.

Ausgehend von der klinischen Diagnostik wurden die Belastung beider Elternteile und das eigene innere Erleben im Umgang mit ihrer Tochter reflektiert [6]. Die Möglichkeit einer eigenen Psychotherapie wurde mit den Eltern erörtert. Bezogen auf die Mahlzeiten wurden Selbstinstruktionen formuliert und es wurden Strategien entwickelt, die die Aufmerksamkeit vom Essen lenken halfen (z. B. an etwas Schönes denken, den nächsten Urlaub planen, die Beratungsinhalte aus der Klinik erinnern).

Insgesamt wurde die Reduktion der Anspannung bei den Mahlzeiten als zentraler nächster Behandlungsschritt erarbeitet. Da sich die eigenen Eltern der Kindeseltern als aktuell eher belastender Faktor herausstellten, wurde gemeinsam entschieden, die häuslichen Mahlzeiten in den nächsten Wochen zu dritt (Mutter, Vater, Kind) einzunehmen. Im Rahmen der Stillberatung der Mutter wurden eigene Motive und Grundannahmen bzgl. des Stillens benannt und reflektiert. Das komplette Abstillen wurde den Eltern vorgeschlagen, die Entscheidung darüber wurde auf Wunsch der Eltern zunächst vertagt.

Poststationärer Verlauf

Circa eine Woche nach der Entlassung stellte sich die Familie geplant poststationär vor, weitere Termine im SPZ waren bereits während des stationären Aufenthaltes vereinbart worden. Das Gewicht hatte sich mit 8 455 g leicht erhöht, blieb jedoch auf der 1. Perzentile. Die Eltern gaben an, die vereinbarten Maßnahmen konsequent umzusetzen. Die Mahlzeiten fanden zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich zuhause und in der Kernfamilie statt, was die Eltern als angenehm empfanden. Die Mahlzeiten beschrieb die Mutter durch die Essensstrukturierung als entspannter und gab an, das Gefühl zu haben, dass ihre Tochter auch kleinschrittig mehr essen würde. Gleichwohl berichtete die Mutter, dass sie bei den Mahlzeiten selber Strategien anwenden müsse (z. B. Selbstinstruktionen, Ablenkungen finden), um den Fokus nicht zu sehr auf die Essensmenge oder auf die Einnahme der angereicherten Nahrung zu richten. Die angebotenen hochkalorischen Joghurts und Smoothies nahm das Mädchen gut an.

Unmittelbar nach der Entlassung war die Betreuung in der Kita wiederaufgenommen worden. Das Mädchen nahm das Mittagessen dort in der Gruppe ein, der Mittagsschlaf klappte gut. Die Beantragung eines Integrationsstatus war geplant. Die Eltern hatten sich außerdem um eine Familientherapie bemüht, um den aus ihrer Sicht vorhandenen Druck im Familiensystem zu reflektieren und zu verändern. Am Ende des poststationären Beratungsgesprächs wurde mit der Mutter ein Video einer Essenssituation analysiert. In diesem Video zeigte das Kind altersentsprechende Fähigkeiten zu essen, es aß genussvoll und die Situation erschien entspannt. Da das Mädchen ein augenscheinlich starkes Bedürfnis hatte, das Essen mit den Händen zu elaborieren, wurde die Mutter zu wöchentlichen therapeutischen "Picknicks" (eine Gruppenangebot für Kleinkinder und Eltern im SPZ) beraten, in deren Rahmen für eine begrenzte Zeit eine ungezwungene Exploration von Nahrungsmitteln mit allen Sinnen und ohne das Ziel der Nahrungsaufnahme möglich ist.

Im Rahmen der anschließenden SPZ-Betreuung wurde die Familie weiter begleitet. Das Gewicht lag 4 Monate nach der Entlassung aus der stationären Behandlung mit 9.500 g auf der 2. Perzentile. Die Eltern bestätigten, die Empfehlungen aus der Klinik weiterhin umzusetzen. Die nach der Entlassung durch die Eltern subjektiv wahrgenommene Verbesserung der Essenssituation blieb stabil [7]. Die Mutter begann mit dem beruflichen Wiedereinstieg. Das Kind wurde tagsüber nicht mehr gestillt, abends nach dem Abendbrot jedoch nach wie vor, allerdings nicht mehr zum Einschlafen. Das nächtliche Stillen wurde beibehalten. Es war allerdings inzwischen auch möglich, dass der Vater seine Tochter nachts beruhigte. Ein Abstillen nachts war geplant. In der Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktionen war eine zunehmende Klarheit in der Steuerung der Tochter durch die Mutter erkennbar, gleichzeitig waren beide in der Essenssituation deutlich entspannter. Zwar blieb das Mädchen in ihrer Konzentration auf das Essen weiterhin relativ kurz (ca. 2 Minuten), ließ sich aber bei Ablenkungen ohne Probleme wieder zur Mahlzeit zurückführen. Eine weiterführende SPZ-Begleitung war aus Sicht der Kolleginnen nicht mehr zwingend notwendig, wurde den Eltern aber bei Bedarf jederzeit angeboten.

Fazit und Schlussfolgerungen

Der oben beschriebene Fall beschreibt die Vorteile einer engen Zusammenarbeit des ambulanten und stationären Systems. Das ambulante System bot der Familie die Option, mithilfe regelmäßiger Beratungen in größeren Abständen erste Interventionen zu erproben. Diese führten jedoch zu keiner anhaltenden Verbesserung der Füttersituation. Die Sorge der Eltern um die Entwicklung ihrer Tochter wuchs, sodass eine stationäre Behandlung indiziert war [4]. Die kurze stationäre Phase von 14 Tagen mit der Möglichkeit einer mehrfach täglichen Beratung und Anleitung der Eltern in Kombination mit der Abklärung möglicherweise beteiligter somatischer Faktoren trug zu den folgenden Veränderungen bei:

  1. Die intensive Diagnostikphase zu Beginn der Behandlung und der stationär leicht zu organisierende Austausch der verschiedenen Disziplinen erlaubte es, ein größeres Verständnis der Problematik zu entwickeln, als es ambulant möglich gewesen wäre;
  2. Insbesondere die hohe Frequenz der Beratungen ermöglichte einen guten Beziehungsaufbau zu Eltern und Kind, die emotionale Beteiligung der Eltern konnte validiert werden;
  3. Die Eltern entwickelten in der Folge ein ausgeprägtes Verständnis für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Fütterstörung;
  4. Damit einhergehend konnte eine hohe Compliance gegenüber den nächsten Behandlungsschritten erzielt werden;
  5. Interventionen konnten unmittelbar umgesetzt und nach Absprache mit den Eltern adjustiert werden;
  6. Der geschützte stationäre Rahmen erlaubte es den Eltern, sich auf die Interventionen und Anleitungen zu fokussieren.

Die enge Verzahnung des SPZ mit dem stationären Angebot ließ im Anschluss an den stationären Aufenthalt eine zeitnahe Übergabe an die behandelnden Kolleginnen zu, Absprachen und weiteres Procedere konnten somit direkt übermittelt werden. Eine erneute stationäre Aufnahme war nicht mehr nötig (Abb. 2). Insgesamt dürfte die bereits im ambulanten System vorhandene hohe Compliance der Eltern zur Reflektion, Beratung und Verhaltensänderung als begünstigend bewertet werden.

Grundsätzlich stellt die beschriebene Vernetzung zwischen der ambulanten und stationären sozialpädiatrischen Versorgung hohe Anforderungen an das behandelnde System. Essenzielle Voraussetzung für eine gelingende Behandlung ist die Betreuung durch ein multiprofessionelles Team [8], sowohl ambulant als auch stationär. Fütter- und Gedeihstörungen, aber auch andere chronische Erkrankungen stellen eine enorme Belastungsprobe für Familien dar, der Stress im System ist häufig enorm. Essenzieller Baustein der Therapie ist es daher, Anspannung zu reduzieren und Entlastung in das System zu bringen. Dazu ist die Bereitschaft der behandelnden Kolleginnen und Kollegen zum Austausch nötig. Das innerhalb einer Disziplin gewählte Vorgehen muss hinterfragt und mit anderen Bereichen abgestimmt, Beratungsinhalte müssen dokumentiert und untereinander kommuniziert werden. Nur so kann den Familien der Eindruck eines koordinierten Behandlungskonzeptes vermittelt und deren Behandlungsmotivation aufrechterhalten werden. Gelingt dies, kann mitunter in kurzer Zeit ein Behandlungserfolg erzielt und als "therapieresistent" bezeichneten Kindern geholfen werden. Zudem können möglicherweise längere stationäre Aufenthalte vermieden werden.


Literatur
1. https://www.dgspj.de/institution/sozialpaediatrische-kliniken/. Letztmalig abgerufen am 20.04.2020
2. Robert Koch-Institut (2011) Referenzperzentile für anthropometrische Maßzahlen und Blutdruck aus der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) 2003 – 2006
3. Chatoor I (2009). Diagnosis and treatment of feeding disorders in infants, toddlers and young children. Zero to Three Press, Washington, D.C.
4. Bolten M, Möhler E, von Gontard A (2013) Psychische Störungen im Säuglings- und Kleinkindalter. Exzessives Schreien, Schlaf- und Fütterstörungen. In: Döpfner M, Lehmkuhl G, Petermann F (Hrsg.) Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie, Band 17. Hogrefe, Göttingen
5. Bernard-Bonnin AC (2006) Feeding problems of infants and toddlers. Canadian Family Physician 52: 1247 – 1251
6. Cierpka M, Windhaus E (Hrsg.) (2007) Psychoanalytische Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie. Brandes und Apsel, Frankfurt a. M.
7. Dunitz-Scheer M, Tappauf M, Burmuric K, Scheer P (2007) Frühkindliche Essstörungen. Kinder sind keine Gefäße! Monatsschr Kinderheilkd 155: 795 – 803
8. von Gontard A, Möhler E, Bindt C (Hrsg.) (2015) Leitlinien zu psychischen Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter (S2k)



Korrespondenzadresse
Dr. Henrike Knoppick
Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH
Klinikum im Friedrichshain, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Stationäre Sozialpädiatrie
Landsberger Allee 49
10249 Berlin-Friedrichshain

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (3) Seite 205-209