Miriam Haagen, Heike Knerich (Hrsg.), 1. Auflage 2022, 167 Seiten, kartoniert, Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-525-46287-4; 18,00 Euro

Wie soll man mit Jugendlichen sprechen, die einen Elternteil verloren haben? Einerseits stellen wir uns vor, dass diese Jugendlichen sehr leiden und ein gutes Gespräch helfen würde, andererseits teilen sicher viele Kolleginnen und Kollegen meine Erfahrung, dass es sehr schwer ist, solche Gespräche so zu gestalten, dass es zu einem hilfreichen Austausch kommt.

Miriam Haagen ist ärztliche Psychotherapeutin und hat mehr als 2 Jahrzehnte Erfahrung in der Begleitung von Menschen, die einen nahen Angehörigen verloren haben. Gemeinsam mit der Sprachwissenschaftlerin Heike Knerich hat sie in dem Buch "Trauernden Jugendlichen zuhören" Gespräche sehr detailliert analysiert. Ziel des Buches ist es, Hilfen und Anregungen für solche Gespräche zu geben.

Das Buch beginnt mit einem Einführungsteil, in dem Miriam Haagen zunächst sehr ausführlich, nachvollziehbar und einfühlsam beschreibt, was es für Jugendliche bedeutet, einen Elternteil zu verlieren. Ihre jahrzehntelange Erfahrung in diesem Tätigkeitsfeld wird deutlich. Alleine diese Einführung macht das Buch schon lesenswert. Im Anschluss führt Heike Knerich in die Methode der Gesprächsanalyse ein. Für diejenigen, die bislang keine Berührungspunkte zu Gesprächsanalyse hatten, ist dieser Teil herausfordernd. Wer aber Lust auf Neues hat, wird belohnt durch den Einblick in eine neue Welt: An kurzen und prägnanten Gesprächsausschnitten wird erklärt, wie detailliert die Gespräche transkribiert werden: Von Gesprächspausen über Satzabbrüche bis hin zu Signalen, die zum Weitersprechen ermuntern. Gerade im Nachvollziehen der Gesprächsnuancen und Interaktionen wird verständlich, was Linguistik leisten kann.

Im zweiten Kapitel werden dann ausgewählte Ergebnisse der Gesprächsanalysen vorgestellt. Sehr hilfreich fand ich hier, dass auf den Gesprächseinstieg sehr ausführlich eingegangen wird.

Die Jugendlichen hatten sich für die Interviews in dem Projekt freiwillig gemeldet. Sie wussten somit, worauf sie sich einließen und wollten offensichtlich reden. Die Interviewerinnen hatten somit eine Gesprächssituation, die etwas leichter ist als die Situation, in der wir meist sind, wenn wir Jugendliche auf Verlusterfahrungen ansprechen. Die Erkenntnisse aus den Analysen lassen sich dennoch auch für uns nutzen.

An vielen Beispielen belegen die Autorinnen, wie die innere Haltung von Neugier und Offenheit auf Seiten der Zuhörer den Jugendlichen hilft, sich mitzuteilen.

Sehr spannend war für mich nachzuvollziehen, wie die Autorinnen zeigen, dass auch Jugendliche, die scheinbar kaum etwas sagen und kaum Gefühle direkt benennen, doch letztlich viel von dem preisgeben, was sie bewegt. So steckt auch im plötzlichen Abbruch einer Erzählung viel Mitteilung darüber, wo die Jugendlichen emotional stehen. Und die Beispiele zeigen dann auch, wie die erfahrenen Interviewerinnen auf diese Gesprächssituationen reagiert haben.

Nachdenklich hat mich die Erkenntnis gemacht, dass Jugendliche sich nicht als Trauernde konzipieren und deshalb auch nicht so angesprochen werden wollen.

Im dritten Kapitel des Buches stellen die Autorinnen dann ihre Erkenntnisse in einen wissenschaftlichen Kontext. Beide Autorinnen erklären lebendig, wie sie von der Zusammenarbeit der Disziplinen Psychotherapie und Linguistik bereichert wurden, aber auch, welche Hürden es auf diesem Weg zu überwinden galt.

Wer soll das Buch lesen? Ich empfehle das Buch allen Medizinerinnen und Medizinern sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die ihr Wissen um Gesprächsführung erweitern wollen, und die Anregungen suchen, um zukünftige Gespräche noch besser zu gestalten.

Ein Beispiel: Den Ratschlag, dass man sich im Gespräch dem Jugendlichen als Partner auf Augenhöhe anbieten soll, habe ich in meiner Psychotherapieausbildung oft gehört. Das tatsächliche Nacherleben von Gesprächen, die genau aus dieser inneren Haltung heraus geführt werden, führte aber für mich zu einem noch tieferen Verstehen dieser Haltung. Ich habe Lust bekommen, solche Gespräche zu führen.

Für all diejenigen, die Gesprächsführung und -technik lehren, hält das Buch viel Material bereit, wie das Wesen guter Gesprächsführung nicht einfach als Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung erworben werden muss, sondern wie es auch als lehrbares Wissen nachvollziehbar gemacht werden kann.



Autor
Dr. med. Joachim Opp, Oberhausen

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (6) Seite 490