In Teil 2 der Serie geht es um Harnwegsinfektionen - und speziell die Zystitis - in der pädiatrischen Praxis. Eine wichtige Unterscheidung für das Finden des richtigen Therapieregimes ist die Abgrenzung von unkomplizierten und komplizierten Infektionen. Wie geht man diagnostisch vor? Wann Antibiotika einsetzen und wann nicht?

Serie YoungDGPI meets AnTIB: Teil 2
Antibiotika sollten gezielt ausgewählt und eingesetzt werden. Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat das Projekt "AnTiB – Antibiotische Therapie in Bielefeld" praxisnahe Empfehlungen für die ambulante antibiotische Therapie in Bielefeld erarbeitet. Damit möglichst viele Kolleginnen und Kollegen aus der Pädiatrie davon profitieren, stellen wir Mitglieder aus der jungen Sektion der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (Young DGPI) in dieser Artikelreihe klinische Entscheidungshilfen vor, die wir gemeinsam mit AnTiB zu häufigen Infektionen in der kinderärztlichen Praxis erstellt haben.

An einer Harnwegsinfektion erkranken 3 – 8 % der Mädchen mindestens einmal im Kindesalter. Jungen sind in diesem Alter mit einer Häufigkeit von 1 – 2 % deutlich seltener betroffen, wobei 50 % der Harnwegsinfektionen bei Jungen in den ersten 3 Lebensjahren auftreten und bei männlichen Säuglingen sogar etwas häufiger als bei weiblichen. Mit 80 % ist E. coli der häufigste bakterielle Erreger von Harnwegsinfektionen. Andere gram-negative Erreger wie Klebsiella spp. oder Proteus mirabilis treten deutlich seltener auf. Bei jugendlichen Mädchen wird die Zystitis (Blasenentzündung) auch durch Staphylococcus saprophyticus ausgelöst. Pseudomonas aeruginosa findet sich insbesondere bei komplizierten Harnwegsinfektionen.

Eine Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) entsteht in fast allen Fällen als aszendierende Harnwegsinfektion und ist eine infektiöse Erkrankung des Nierenbeckens mit Beteiligung des Nierenparenchyms.

Eine wichtige Unterscheidung für das Finden des richtigen Therapieregimes ist die Abgrenzung von unkomplizierten und komplizierten Harnwegsinfektionen. Unkompliziert bedeutet, dass ein anatomisch und funktionell normaler Harntrakt, Immunkompetenz und eine normale Nierenfunktion vorliegen. Die Therapie der komplizierten Harnwegsinfektion ist individuell abhängig von der Grunderkrankung und den i. d. R. vorliegenden mikrobiologischen Vorbefunden.

Diagnostik

Die Diagnose einer Harnwegsinfektion wird bei klinischer Symptomatik durch das Vorliegen einer Leukozyturie gestellt und kulturell durch eine signifikante Bakteriurie gesichert.

Klinische Symptome können sein: Dysurie, Pollakisurie, Nykturie, Bauchschmerzen. Insbesondere bei Fieber (siehe "Red Flags") sollte klinisch die Diagnose Pyelonephritis gestellt werden. Die Leukozyturie wird mittels Urin-Stix festgestellt. Aufgrund häufiger falsch-positiver Befunde ist eine Bestätigung durch Mikroskopie des Nativ-Urins empfehlenswert. Eine Erregerdiagnostik (Urinkultur) sollte prinzipiell vor Einleitung einer antibakteriellen Therapie veranlasst werden.

"Red Flags" – Pyelonephritis
  • Säuglingsalter
  • Fieber
  • Flankenschmerzen
  • reduzierter Allgemeinzustand
  • Harntraktanomalie (insbesondere vesiko-ureteraler Reflux)

Hinweis: Der Nachweis von Nitrit gelingt nur bei nitritbildenden Bakterien und einer längeren Blasenverweildauer des Urins. Er fehlt insbesesondere bei sehr jungen Kindern und ist andererseits allein auch kein zuverlässiger Indikator für die Diagnose einer Harnwegsinfektion.

Uringewinnung

Bei Kindern mit Blasenkontrolle erfolgt die Uringewinnung i. d. R. durch einen Mittelstrahlurin, idealerweise nach Reinigung des äußeren Genitales. Bei jüngeren Kindern wird als Screening häufig mit einem Beutel Urin aufgefangen. Aufgrund der höheren Gefahr der Verunreinigung und damit falsch-positiver Ergebnisse sowie Problemen bei der Beurteilung der Urinkultur sollte anschließend immer oder gleich primär eine Diagnosesicherung angestrebt werden durch:

  • Clean-Catch-Urin, ggf. nach Stimulation
  • Suprapubischer Punktions- oder transurethraler Katheterurin (werden in der Praxis insbesondere bei der unkomplizierten Zystitis aber kaum genutzt)

Der gewonnene Nativurin sollte zügig im Labor untersucht werden. Falls notwendig, wird der Urin vorübergehend bei Kühlschranktemperatur gelagert. Eintauchmedien sind wenig geeignet.

Bei jugendlichen Mädchen kann bei einer unkomplizierten Zystitis auf eine Urinkultur verzichtet werden, wenn keine rezidivierenden Harnwegsinfektionen vorliegen und zuvor keine antibiotische Therapie (unabhängig von der Indikation) durchgeführt wurde.

Das Ergebnis der Urinkultur muss unter Berücksichtigung des Therapieverlaufs auf Relevanz hin beurteilt werden. Hinweise für eine Kontamination sind: eine nicht signifikante Keimzahl (abhängig von Uringewinnung), Nachweis mehrerer Bakterien und Nachweis nichttypisch uropathogener Erreger. Enterococcus faecalis ist zwar uropathogen, findet sich aber auch häufig als Kontamination.

Antibiotikagabe bei der unkomplizierten Zystitis?

Im Folgenden geht es explizit um die Therapie der unkomplizierten unteren Harnwegsinfektion (Zystitis). Die Therapie der Pyelonephritis wird in einem folgenden Artikel beschrieben (siehe Teil 3 dieser Serie).

Bei jugendlichen Mädchen mit leichten Beschwerden und dem Fehlen von Warnzeichen, die für das Vorliegen einer Pyelonephritis sprechen, kann nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung aufgrund der hohen Spontanheilungsrate auf eine antibiotische Therapie verzichtet werden. In diesem Falle ist eine Erhöhung der Trinkmenge und damit der Miktionsfrequenz sinnvoll – und der Einsatz eines Phytotherapeutikums möglich. Eine Urinkontrolle sollte bei Verzicht auf eine antibiotische Therapie zeitnah erfolgen.

Patientinnen und Patienten mit einer unkomplizierten Zystitis sollen unter Beachtung der lokalen Resistenzlage mit einem in der Tabelle 1 aufgeführtem Antibiotikum behandelt werden. Die Therapiedauer kann bei günstigem Verlauf bei Trimethoprim und Nitrofurantoin auf 3 Tage begrenzt werden. Bei kürzlich vorausgegangener antibiotischer Therapie aufgrund jeglicher Indikation ist die Wahrscheinlichkeit für Resistenzen gegen das eingesetzte Antibiotikum erhöht. Dies sollte bei der Auswahl des Antibiotikums berücksichtigt werden.

Antibiotische Therapie der unkomplizierten Zystitis

Trimethoprim soll nur verwendet werden, wenn die lokale Resistenzlage bei E. coli unter 20 % liegt. Tatsächlich liegen i. d. R. keine zuverlässigen Daten dazu vor. Die Standardberichte der Labore überschätzen regelhaft die Resistenzlage, da z. B. komplizierte Krankheitsverläufe überrepräsentiert und Kontaminationen mit eingeschlossen sind. Eine zielgerichtete lokale Auswertung der Urinkulturen auf Relevanz für die unkomplizierte Zystitis ist eigentlich notwendig. Sie wird im Projekt "AnTiB" bespielhaft erprobt.

Alternativ wird Nitrofurantoin eingesetzt, das bei günstiger Resistenzlage eine gute Wirksamkeit (Ausnahme Proteus mirabilis) aufweist, aber häufiger zu Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen führt.

Bei jugendlichen Mädchen ab 12 Jahren und 50 kg KG kommt auch Fosfomycin in Frage. Mit der Anwendung sollte man sich zuvor vertraut machen. Es wird i. d. R. als Einzeldosis abends eingesetzt. Um ausreichend lang hohe intravesikale Spiegel zu erreichen, soll die Trinkmenge reduziert und die Miktion aufgeschoben werden. Nicht effektiv ist Fosfomycin bei der hämorrhagischen Zystitis.

Pivmecillinam (ab 6 Jahren) und Nitroxolin (ab 14 Jahren) sind grundsätzlich auch zur kalkulierten Therapie geeignet, in Deutschland allerdings nur altersbegrenzt verfügbar.

Eine Urinkontrolle sollte bei fortbestehender Symptomatik erfolgen, ist jedoch nicht routinemäßig nach Abschluss der Behandlung erforderlich. Bei ausbleibendem Therapieerfolg richtet sich das weitere Vorgehen nach dem Antibiogramm der Urinkultur. Wird ein klinischer Therapieerfolg trotz Resistenznachweis erzielt (diskordante empirische Therapie), wird die Therapiedauer auf die Gesamttherapiedauer angerechnet. Eine Nachkontrolle ist dann empfehlenswert.

Prävention

Gezielt sollte nach Hinweisen auf eine Blasenfunktionsstörung (Einnässen, Miktionsaufschub, Drangsymptome u. a.) und eine Obstipation gefragt sowie auf eine Labiensynechie geachtet werden. Diese sollten entsprechend behandelt werden. Außerdem sollte eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr mit regelmäßiger Miktion erfolgen.

Was sollte man nicht tun?

Bei unspezifischen Beschwerden und Befunden (z. B. bei einer Vulvitis) sollte nicht allein aufgrund eines positiven Urin-Stix auf Leukozyten antibiotisch behandelt werden. Es sollte eine Urinkontrolle erwogen werden.

Ungezielte Therapien mit Cephalosporinen oder Amoxicillin/Clavulansäure sollten bei der Zystitis aufgrund von Resistenzentwicklungen vermieden werden. Der Einsatz von Fluorchinolonen ist aufgrund von Nebenwirkungen und Resistenzentwicklungen bei unkomplizierten Infektionen obsolet und nicht zugelassen.

Amoxicillin ist aufgrund der ungünstigen Resistenzlage zur kalkulierten Therapie i. d. R. nicht geeignet.

Der Sulfamethoxazol-Anteil von Cotrimoxazol ist für die Wirksamkeit bei Harnwegsinfektionen nicht von Bedeutung, verursacht aber Nebenwirkungen. Cotrimoxazol sollte daher nicht mehr eingesetzt werden.

Eine asymptomatische Bakteriurie wird bei normaler Funktion des Harntraktes nicht antibiotisch behandelt.


Literatur, auf der diese Empfehlungen basieren
1. Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie und Arbeitskreis Kinder- und Jugendurologie der Deutschen Gesellschaft für Urologie: Interdisziplinäre S2k-Leitlinie: Harnwegsinfektionen im Kindesalter: Diagnostik, Therapie und Prophylaxe. Version 1, 23.08.2021, verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/166-004.html. (Zugriff am: 13.09.2023)

Korrespondenzadresse:
Dr. med. Anna-Lena Sieg
Universitätskinderklinik Würzburg
Josef-Schneider-Straße 2, 97080 Würzburg

Interessenkonflikt:
Die Autorin gibt für sich und Ihren Co-Autor an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2024; 95 (2) Seite 128-131